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B) wie funktioniert das?»Am besten mit einem breiten Methodenrepertoire!« wäre man
geneigt, zu antworten. Das trifft den Punkt allerdings insofern
nicht ganz, als man unter Methodenrepertoire typischerweise
eine Sammlung fix definierter Methoden versteht. Das hilft nicht
so sehr für das, was Hattie beschreibt, weil eben jede Situation
individuell ist. Es gibt keine 10 oder auch keine 100 Methoden,
von denen garantiert mindestens eine auf jede Situation passt.
Selbstverständlich, lieber mehr als weniger Methoden im Köcher
zu haben, ist ein Vorteil – vor allem dann, wenn dieses Methoden-
repertoire nicht statisch, sondern dynamisch ist: Die Pointe ist die
Fähigkeit, aus dem Stand Methoden abwandeln, kombinieren, ja
neu erfinden zu können. So füllt sich zudem der Köcher immer
weiter. Es geht darum, »methodenneugierig« unterwegs zu sein,
sich als Methodenentdecker*in, als Methodendesigner*in zu verstehen.
Nicht als Selbstzweck, stets unter dem Eindruck davon, was die
Lernenden gerade brauchen, um dem Ziel näher zu kommen. Was
man also braucht, ist noch mehr als ein breites Methodenrepertoire:
ein lebendiges Methodenrepertoire – eines das wächst, sich
wandelt, sich neu ordnet usw.
was hilft, sich in diese richtung zu entwickeln?• Das Wichtigste ist, sich darin zu üben. Einige Trainings-Anlei-
tungen dazu, insbesondere die Fenstertechnik seien empfohlen
(Arn 201, Seiten 5–68 und 196–19).
• Weiter hilft es, Parallelen zu entdecken, wie man selbst in anderen
Feldern aus dem Moment heraus zu handeln fähig ist: Falls man
selbst ein Instrument spielt – was hilft mir beim Improvisieren?
Falls man beraterisch tätig ist – was von der dortigen Fähigkeit, im
Moment zu handeln, lässt sich wie auf das Unterrichten übertragen?
Falls »entwerfen« zum eigenen Beruf gehört – wie und woher kommen
da die Ideen? Usw.
• Generell kann man sagen, dass sich mit fortschreitender Persön-
lichkeitsentwicklung die Fähigkeit verstärkt, mit offenen Situa-
tionen umzugehen. (Binder 2016). Es ist also hilfreich, auf die
Entwicklung der eigenen Persönlichkeit zu achten: Was kann mich
als ganzer Mensch weiterbringen?
• Weiter hilfreich ist eine gute Fehlerkultur – mit sich selbst und in
der Institution bzw. Abteilung. Denn wer aus dem Moment heraus
mutig Entscheidungen treffen will, muss auch mal danebenhauen
dürfen. Zwar scheitert die Didaktik, welche nicht im Moment
wahrnimmt und aus dem Moment heraus arbeitet, sondern strikt
dem vorgefassten Plan folgt, recht oft, wenn man sie danach beur-
teilt, wie viel echtes Lernen (nicht Prüfungswissen) dabei geschieht.
Doch wird dieses Scheitern typischerweise dem System oder den
Lernenden angelastet. Dennoch: Sind hier die Lehrenden nicht ge-
nauso verantwortlich für das (Nicht-) Resultat? Situative Didaktik
darf sich also durchaus ebenfalls Fehler leisten. Erkennt man sie im
Moment (oder auch später), so kann man sich durchaus mit den
Lernenden darüber (kurz) austauschen.
Die Lernenden nehmen einem das nicht übel. Sie schätzen es sehr,
wenn Lehrende spürbar versuchen, sie wahrzunehmen und das zu
tun, was sie weiterbringt.
• Das Ziel hilft besonders, zu guter Methodik zu finden, und zwar
in zweierlei Hinsicht: Ein kompetenzorientiertes Ziel definiert die
Fähigkeit zu bestimmten Handlungen als das, was es zu erreichen
gilt. Da man handeln nicht ohne handeln lernen kann, ergibt sich
daraus wesentlich die Idee, schlicht das zu üben, was man am Ende
können soll, während Theorien, Informationen usw. eher »Zuliefer-
industrie« sind und weniger einen Selbstzweck darstellen: Solche
Handlungen, die es zu lernen gilt, schlicht zu tun, oder natürlich
Teile aus diesen Handlungen, gehört unbedingt in den Methoden-
köcher.
• Die zweite Hinsicht, in der gute Ziele helfen, didaktische Ent-
scheidungen aus dem Moment heraus zu treffen, liegt darin, dass
sie Orientierung bieten für solche Entscheidungen. Je klarer ein
Ziel ist, desto leichter kann man aus dem Stand entscheiden, ob es
die Lernenden dem Ziel besser näher bringt, wenn sie die folgende
Aufgabe in Gruppen oder alleine anpacken. Oder: wenn ich jetzt
drei Modelle direkt hintereinander kurz vorstelle oder eines gründ-
licher, und wir dann erst mal dieses üben. Oder: wenn wir die
Plenumsdiskussion noch kurz weiterführen oder gleich in Tandems
weiterarbeiten; usw. Letztlich ist gerade die klare Vorstellung der
Strecke, die aktuell zwischen dem Stand der Studierenden und dem
Ziel liegt, oft eine unmittelbare Inspiration zu einer Methode.
Damit sind wir beim Thema »Ziel« und somit beim dritten Punkt
des Kernsatzes von Hattie angelangt:
»to attain various shared, specific, and challenging goals«
a) was ist das?Jedenfalls etwas deutlich anderes als »deklamierte, schematisierte und
messbare Ziele«; etwas anderes, als Ziele, die zu Beginn bekannt zu
geben sind (obwohl die Studierenden sie auch im Modulbeschrieb
lesen können), die einem Schema (z.B. einer Untergliederung in
Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen) zu entsprechen
haben, sowie möglichst leicht, genau und schwer anfechtbar
gemessen werden können sollen (unter der Fahne »Rekurs-
sicherheit«). Inwieweit solcherlei vielleicht aus anderen (organi-
sationalen) Gründen Sinn macht als im Hinblick auf das Lernen,
könnte diskutiert werden. Jedenfalls erscheint keines dieser Kriterien
hier im Kernsatz bei Hattie. Dafür drei andere: Geteilt sind Ziele,
wenn alle Beteiligten sich im Grossen und Ganzen damit identifi-
zieren können; spezifisch sind Ziele, wenn sie konkret sind; heraus-
fordernd sind Ziele, wenn sie sich nach einem Abenteuer anfühlen.
Dass solche Ziele eine enorme Motivationskraft entfalten, versteht sich.
Denn sie entsprechen in hohem Mass den drei wichtigsten motiva-
tionalen Faktoren nach Deci und Ryan (2008): Autonomieerleben
wird gestärkt, wenn Studierende sich mit den Zielen identifizieren
können und sich auf (mit) selbst bestimmten Wegen auf dieses Ziel
hin bewegen können. Soziale Einbindung wird durch gemeinsame
Ziele intensiviert, Selbstwirksamkeit durch die Einübung konkreter
Ziele. Doch haben Ziele, die diesen drei Kriterien entsprechen,
noch eine weitere Eigenschaft: Sie sind klar und auf den Punkt
formuliert. Solche kernige Ziele haben für Lehrende, die aus dem
Moment heraus auf der Basis einer Wahrnehmung, ob Lernen bei
den Lernenden stattfindet oder nicht, die »Richtung des Lernens
ändern« (wie es Hattie sagt) wollen, aus einem ganz bestimmten
anderen Grund eine essenzielle Rolle: Sie geben Orientierung für
Richtungsänderungen, die Sinn machen.
B) wie macht man das?
Gelingt es, das echte, eigene Ziel als Lehrperson in einem Satz treffend
zu formulieren, so ist es oft einladend (also leicht zu teilen), maxi-
mal konkret (spezifisch) und angenehm anspruchsvoll. Eine solche
Formulierung zu finden ist allerdings nicht-trivial. Einerseits haben
Lehrende oft innerlich eine unbewusste Klarheit darüber, worum
es ihnen in diesem Modul bzw. Kurs bzw. Fach gehen würde.
Andererseits gibt es keinen Algorithmus, keine fixe Prozedur dafür,
sich das bewusst zu machen und in einen kraftvollen Satz zu fassen.
Lernwirksamkeit in einem Satz