01-02/2021 DEMOKRATIE IN GEFAHR SEIT  1946 5,– Euro P.b.b. Abs.: Gesellschaft zur Herausgabe der Zeitschrift ZUKUNFT,  Kaiserebersdorferstrasse 305/3, 1110 Wien, MZ 14Z040222 M, Nr. 01-02/2021 Wer hat Angst vorm starken Mann? Alexander Ackerl/Phil Kamper Der Mythos Gramsci Gernot Trausmuth Versteinerungen und Revolutionär*innen Uwe Schütte Medienmanipulation im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit Rene Windegger


  EDITORIAL Der international sich ausdehnende Rechtspopulismus, die  drängende Frage der Massenmanipulation, die wirtschaftli-chen Folgen der Corona-Krise, die Zerstörung des öffent-lichen Eigentums und des Gemeinwohls oder die durch den Neoliberalismus erzwungene fehlende Solidarität sind nur einige Beispiele dafür, dass die Demokratie nachdrück-lich in Gefahr ist. Nicht zuletzt deshalb hat die Redakti-on der ZUKUNFT sich entschlossen, die das Jahr 2021 eröff-nende Doppelausgabe dem Thema Demokratie in Gefahr zu  widmen. Ganz in diesem Sinne untersuchen Alexander Ackerl und Phil Kamper mit ihrem Eröffnungsbeitrag die global und  lokal um sich greifende rechtspopulistische Ausschaltung  der Demokratie von Trump über Bolsonaro und Duterte bis zu Orban, um dabei den theoretischen Aufbau des österreichi- schen Neonazismus bei dem promovierten Verfassungsjuris- ten aus dem Bärental auszumachen. Die rechtspopulistischen  Polarisierungen werden so in der weithin bekannten NLP-Rhetorik verortet, nach der es bei autoritären Herrschern seit jeher darum geht, dass SIE gegen IHN sind, weil ER für EUCH ist. In diesem Kontext werden die Identitätspolitiken des „ech- ten Österreichers“ genauso untersucht, wie die Rolle und Funktion von progressiven NGO’s, um angesichts des Sturms auf das Kapitol herauszuarbeiten, dass die zentrale Botschaft  Willy Brandts nach wie vor nicht verstanden wird: Mehr De- mokratie wagen! Dass diese Ausschaltung  der Demokratie in der Gegenwart nicht ohne Analyse der damit verbundenen Medientechno-logien vonstattengehen kann, analysiert dann der Beitrag von  Rene Windegger, der sich anhand von drei relevanten his-torischen Konstellationen der Rolle und Funktion von Me-dienmanipulation im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit  widmet. Wenn z. B. Fake News das Problem von wahrer oder  falscher Information aufwerfen, dann ist ein Blick auf Orson  Welles’  Krieg der Welten in der Gegenwart genauso nützlich,  wie eine Analyse der embedded journalists, mit denen seit dem 3. Golfkrieg die Unabhängigkeit des Journalismus in erheblicher Gefahr ist. Dies zeigt der Autor auch anhand einer Bildmani- pulation, welche die verdiente Seenotretterin Carola Rackete gezielt ins politisch rechte Eck stellen sollte, um abschließend derartige Strategien auch beim ehemaligen US-Präsidenten  Trump auszumachen. Dass Identitätskonstruktionen in verschiedenen Gesell- schaften und Kulturen bedeutsam sind, argumentiert    Julian J. Ernesto Kroyer dann mit einem erneuten Beitrag  (vgl. ZUKUNFT 10/2020) zur sog. Harlem Renaissance. Denn in  der allgemeinen Geschichte von Imperialismus und Sklaverei  war auch der Kampf der Schwarzen – wir denken aktuell  freilich an die Black Lives Matters-Bewegung – zutiefst damit  verbunden, dass in Verknüpfung mit der Frauenfrage allererst  ein Selbstbewusstsein entwickelt werden musste, um demo-kratische Rechte – manchmal durchaus blutig – zu erkämp-fen. Kroyer stellt dabei die diesbezüglich relevanten Autoren  Alain Locke und Marcus Garvey vor, um deutlich zu machen,  wie auch heute noch (angesichts der Kategorien race, class and  gender) die Hautfarbe darüber entscheiden kann, ob demo-kratische Rechte eingehalten werden oder (meistens) eben nicht. Demokratie in Gefahr ALESSANDRO BARBERI UND THOMAS BALLHAUSEN


 ZUKUNFT | 3    Der Literaturwissenschaftler Uwe Schütte rezensiert in der Folge Axel Ruoffs bemerkenswerten zweiten Roman Irrblock  (2020) und arbeitet dabei in historisch äußerst relevanter Art  und Weise die darin angelegten Bezüge zu Leben und Wir-ken der herausragenden Marxistin Rosa Luxemburg heraus, deren Stimme in diesem erratischen Umfeld mehrfach eine Rolle spielt. Ruoffs Expertise liegt deshalb darin, faszinierende  Erzählwelten zu erschaffen, die erkennbar im Hier und Jetzt verankert sind, dabei aber Geschichten zu erzählen wissen, die  allegorisch ausgreifen und sich auf die Erkundung der Zwi-schenräume zwischen Fakt und Fiktion verstehen. So erinnert dieser Text auch an den grauenhaften Mord an Rosa Luxem-burg, um dieser Revolutionärin gerade in undemokratischen  Zeiten der Gefahr das Andenken nicht zu verwehren. Angesichts des Themas freut es die Redaktion auch, dass  Christian Kaserer mit seinem Beitrag zu einem (gut funk- tionierenden) selbstverwalteten baskischen Industriebetrieb in  Erinnerung rufen will, dass Menschen sehr wohl kommunitär  und solidarisch wirtschaften können, ohne sich den neolibe-ralen Konkurrenzkämpfen zu unterwerfen. Sein Lokalaugen- schein in Mondragón zeigt deutlich auf, dass ein soziales und demokratisches Miteinander (ob nun im Sinne der christlichen  Caritas  oder nicht) durchaus möglich ist, und Menschen sich  frei entscheiden können, gemeinsam, selbstverwaltet und also genossenschaftlich zu arbeiten und zu leben. Dies wirft angesichts der Gefährdung(en) der Demokratie auch brennende Fragen und Antworten auf, die Kaserer durch ein kleines Interview mit Ander Etxeberria, dem Leiter von Mondragón, in seinen Bericht einlassen konnte. Neben Rosa Luxemburg zählt auch Antonio Gramsci – nicht  zuletzt ob seiner Hegemonietheorie – zu den maßgeblichen mar- xistischen Theoretiker*innen des 20. Jahrhunderts, die einen  tiefgehenden Blick auf die (ideologischen) Funktionsweisen der Demokratie hinterlassen haben. Deshalb hat sich Gernot  Trausmuth  die Mühe gemacht, Gramscis Werk aus verschie- denen Perspektiven zu beleuchten, um eine mehr als fruchtba-re Diskussion der Linken fortzusetzen. Dabei rekapituliert der  Autor den Aufstieg des Faschismus, der Gramsci und seine Be- griffe zutiefst geprägt hat, weil seine Arbeit nicht zuletzt in der  Überwindung der Spaltung der Arbeiter*innenbewegung be- stand. So bieten seine Gefängnishefte  seismografische Beschrei- bungen einer nach wie vor äußerst aktuellen Gefahr, die gerade die Sozialdemokratie an ihre antifaschistische Tradition bindet. Wie unseren Leser*innen sicherlich in den letzten Ausgaben  aufgefallen ist, legt die Redaktion der ZUKUNFT großen Wert darauf, auch literarische Texte zu präsentieren, um deren Ver-hältnis zu politischen Fragen diskutabel zu machen. Deshalb präsentieren wir in dieser Ausgabe einen Auszug aus Thomas  Ballhausens dystopischer Erzählung Lob der Brandstifterin, die  – ganz im Sinne unseres Themas – den fortschreitenden De- mokratieverlust ebenso vor Augen führt, wie die individuel-len und allgemeinen Ausnahmezustände angesichts von Neo-liberalismus und Corona-Pandemie. Dabei wird auch in dieser  Narration die drohende Entsolidarisierung angesichts der Krise  deutlich gemacht, deren Folgen gerade unter den schwierigen aktuellen Bedingungen erneut auf die Gefahr(en) der Entde-mokratisierung verweist. Einen herzlichen Dank können wir auch diesmal im Namen  aller Künstler*innen, die Ihre Werke freimütig der ZUKUNFT zur  Verfügung stellen, Patrick Ausserdorfer aussprechen. Seine  Fotografien bündeln vom Cover weg und angesichts von be- eindruckenden Aufnahmen Wiens sein stupendes Interesse an den Verhältnissen von city, technology and light, die er am Ende dieses Hefts auch erläutert, um Einblick in die Voraussetzungen und Produktionsbedingungen seiner Arbeit zu bieten. Im Blick auf unsere Zukunft möchten wir unsere Leser*innen  darauf hinweisen, dass mit diesen ersten beiden Ausgaben der  ZUKUNFT in ihrem Jubiläumsjahr ein neues Team die Redakti- onsarbeit von Caspar Einem übernehmen darf. Wir danken dem verdienstvollen Innenminister a.  D. und äußerst umsichti-gen Chefredakteur der ZUKUNFT für sein immenses Engagement und hoffen, auch in Zukunft auf seine Expertise zurückgreifen zu können. Auch dankt die neu zusammengesetzte Redaktion 


– stellvertretend für alle Mitarbeiter*innen – Ludwig Dvořak  für seine (nicht nur) redaktionelle Sorgsamkeit und die Tatsa-che, dass es ohne ihn und sein Team heute wohl keine ZUKUNFT  (der Sozialdemokratie) mehr gäbe. Es freut uns außerordentlich,  in Fußstapfen treten zu dürfen, die – seit insgesamt 75 Jahren – den Gang und Weg der Sozialdemokratie begleitet haben. Daher hoffen wir unsere Leser*innen in der großen Linie un- serer Bewegung weiterhin für uns gewinnen zu können. Dies  vor allem, weil wir uns sicher sind, dass das zahlreiche Kollektiv  der ZUKUNFT bereit ist, sich jeder Gefährdung der Demokratie gemeinsam entgegenzusetzen … ALESSANDRO BARBERI ist Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Privatdozent.  Er lebt und arbeitet in Wien und Magdeburg.  Politisch ist er in der SPÖ Landstraße aktiv. Weitere Infos und Texte   online unter: https://lpm.medienbildung.ovgu.de/team/barberi/ THOMAS BALLHAUSEN lebt als Autor, Kulturwissenschaftler und Archivar in Wien und Salz- burg. Er ist international als Herausgeber, Vortragender und Kurator tätig.


Inhalt 6     Wer hat Angst vorm starken Mann?    VON ALEXANDER ACKERL UND PHIL KAMPER 14    Medienmanipulation im Zeitalter ihrer technischen    Reproduzierbarkeit    VON RENE WINDEGGER 22    Identitätskonstruktion in der  Harlem Renaissance    VON JULIAN KROYER 28    Versteinerungen und Revolutionär*innen    VON UWE SCHÜTTE 32    Zwischen Jesus und Marx    VON CHRISTIAN KASERER 38    Der Mythos Gramsci    VON GERNOT TRAUSMUTH 44    Lob der Brandstifterin    VON THOMAS BALLHAUSEN 50    City, Technology and Light    VON PATRICK AUSSERDORFER COVER: PATRICK AUSSERDORFER (2020) DOWN UNDER – SURROUNDINGS © PATRICK AUSSERDORFER IMPRESSUM HERAUSGEBER: Gesellschaft zur Herausgabe der Zeitschrift »Zukunft«, 1110 Wien, Kaiserebersdorferstraße 305/3 Verlag und Anzeigenannahme: VA Verlag GmbH, 1110 Wien, Kaiserebersdorferstraße 305/3, Mail: office@vaverlag.at Chefredaktion: Alessandro Barberi Stellvertretende Chefredaktion: Thomas Ballhausen Bildredaktion: Claudia Ungersbäck Online-Redaktion: Bernd Herger Cover: Patrick Ausserdorfer (2020) Down Under – Surroundings © Patrick Ausserdorfer


 6 | ZUKUNFT  Mit ihrem Beitrag untersuchen  ALEXANDER ACKERL  und  PHIL KAMPER  die global um sich greifende rechtspopulis- tische Ausschaltung der Demokratie und rekapitulieren die Rolle des österreichischen Neofaschismus beim Aufbau autori-tärer Regime in Europa und der Welt … „Wer hat Angst vorm  starken Mann?“ „WER HAT ANGST VORM STARKEN MANN?“  VON ALEXANDER ACKERL UND PHIL KAMPER I. EINLEITUNG Das Gesicht liegt zur Hälfte in Dunkelheit, die blauen Au- gen blicken in die Ferne. Der Kontrast zwischen Licht und Schatten verleiht seinen Gesichtszügen Schärfe und eine Aura der Entschlossenheit. Der Mund halb geöffnet, als würde die-ser Mann jeden Moment das Wort ergreifen. Dem Betrachter ist klar: Dieser Mann ist bedeutsam. Er scheint gefährlich und verlockend gleichermaßen zu sein, wie eine Naturgewalt, de-ren Kraft aus der Ferne fasziniert – und aus der Nähe verängs-tigt. Die Ausgabe der Time vom 14. Februar 2000 war zwar nicht jene, die die Person des Jahres kürte, dennoch dürfte es für den Mann auf dem Cover eine außerordentliche Genug-tuung gewesen sein. II.  „JÖRG HAIDER – SHOULD EUROPE FEAR THIS  MAN?” So lautete die Überschrift des Artikels, der einen Über- blick über Haiders rechtsextreme Äußerungen, den Wider-stand gegen die Schwarz-Blaue Regierung in Österreich, die bilateralen Sanktionen gegen die neue Wiener Regierung bot. Die Frage, die dabei in den Raum gestellt wird: Handelt es sich beim Aufstieg des Rechtspopulisten Haider um eine Eintagsfliege oder um einen Vorboten einer neuen, rechtspo-pulistischen Welle? Zwei Dekaden nach dieser Ausgabe und zwölf Jahre nach Haiders Unfalltod ist die Frage, ob es sich bei ihm um einen Vorreiter handelte, eindeutig mit „Ja“ zu beantworten. Haiders Rechtspopulismus ist heute fast über-all zu finden. In Europa etwa die erzkatholische polnische PIS-Partei, oder in Ungarn Viktor Orbans FIDESZ. Internatio-nal sind sehr bekannte Beispiele US-Präsident Donald Trump, Brasiliens Präsident Bolsonaro oder der philippinische Präsi-dent Duterte. Sie alle eint der Kampf gegen „das System“, die  Verachtung für etablierte Parteien und Institutionen, die kor-rumpiert seien und „dem wahrem Volk“ nicht mehr dienten, sondern lediglich der Elite. Stets besteht ihr Versprechen da-rin, den „Sumpf“ trocken zu legen, für Ordnung zu sorgen und den gesellschaftlichen Wohlstand nicht bloß zu mehren, sondern auch die Unterprivilegierten des Landes vermehrt daran teilhaben zu lassen. Dafür müssten jedoch jene Elemente, deren Loyalität dem  alten „System“ gelten, ausgeschaltet werden: Private und öf-fentlich-rechtliche Medien, universitäre Eliten, ausländische Konzerne und Regierungen, sowie ethnische und religiöse Minderheiten sind nur einige Beispiele aus einer schier end-losen Liste an Feinden, derer sich „das Volk“ erwehren müs-se, um das eigene Land wieder groß und großartig zu machen. So gesehen steht das Time-Cover vom 14. Februar 2000 nicht nur für den Höhepunkt von Haiders politischer Karriere. Es steht auch für den Beginn einer Epoche, die sich bis zum heu-tigen Tag erstreckt und deren Ende nicht absehbar ist. Die Ära der demokratischen Rezession. Jörg Haider diente dabei (ge-meinsam mit Silvio Berlusconi) als Schablone für Rechtspo-pulisten und zeigte nicht nur, wie man Aufmerksamkeit, son-dern auch Macht gewinnen kann. III.  EINE GESCHICHTE OHNE ENDE Francis Fukuyamas verheißungsvolle These vom „Ende  der Geschichte“, in dem Marktwirtschaft und die liberale De-mokratie nach Ende des Kalten Krieges ein neues Zeitalter begründen würden, da sie im Verhältnis zu anderen Systemen wie jenem des Staatssozialismus das Bedürfnis des Menschen nach sozialer Anerkennung am besten befriedigten, stellte sich als fatales Wunschdenken heraus. Viele Länder, die sich ver-


meintlich stabil in Richtung einer liberalen Demokratie ent-wickelten, schlugen in den vergangenen Jahren einen anderen Weg ein und sind heute weniger frei als noch vor zehn Jahren. Dabei muss man festhalten, dass „Demokratie oder nicht?“, keine binäre Fragestellung ist. Viktor Orbans Ungarn ist das Paradebeispiel für competi- tive authoritarianism, also einen autoritären Staat, der limitier-ten politischen Wettbewerb (noch) zulässt. Nach dem Ende des Kommunismus kam es wie in den meisten anderen ehe-maligen Ostblockstaaten auch in Ungarn zu weitreichenden Reformen, die auf die Einrichtung eines liberalen, demokra-tischen Verfassungsstaates abzielten. Gemeinsam mit dem of-fensichtlichen Hunger der Bevölkerung nach Freiheit, Selbst-bestimmung und Menschenwürde soll dabei auch die lange, politische Tradition des Landes berücksichtigt werden, das be-reits ab dem Hochmittelalter prozentuell mehr Menschen an der Regierung beteiligte, als jedes andere europäische Land für Hunderte von Jahren. Die Zeit des Faschismus unter Mik-lós Horthy und des Kommunismus schienen den Willen zur Demokratie und Selbstbestimmung der Ungarn nicht gemin-dert zu haben, wie die Reformen der 1990er-Jahre und der EU-Beitritt 2004 zu zeigen schienen.  Dennoch ist Ungarn heute ein EU-Mitglied, in dem die  Informationsfreiheit beispiellos beschränkt wird und in dem liberale Grundrechte erodieren. Orban, der als konservativer Politiker im Sinne der europäischen Volkspartei begann, hat mittlerweile alle Macht auf sich vereint. Sein Abtreten durch demokratische Wahlen wurde durch die Kontrolle der Medi-en und Verfassungsreformen enorm erschwert. Ein „Starker Mann“ hat übernommen. Und er ist nicht allein. Erdogans Wandel vom Reformer zum konservativ-islamischen Hardli-ner und de facto Alleinherrscher; Donald Trumps überraschen-de Wahl zum US-Präsidenten 2016 und seine (bisher) vier Jahre andauernde chaotische Präsidentschaft; Rodrigo Dutertes Auf-stieg zum Präsidenten der Philippinen, wo er u. a. eine gna-denlose Mordkampagne gegen Drogensüchtige entfachte, die zur extralegalen Tötung von abertausenden Menschen führte.  IV.  SIE SIND GEGEN IHN, WEIL ER FÜR EUCH IST Die Werkzeuge der Rechtspopulisten sind über den Glo- bus seit drei Jahrzehnten in ihren Grundlagen unverändert. Der erste Schritt ist die Delegitimierung des demokratischen Systems selbst – meist durch Stellvertreterkriege mit der po-litischen, wirtschaftlichen und kulturellen Elite des jewei- ligen Landes. Dies reicht von Unterstellungen der persönli-chen Vorteilsnahme, Abgehobenheit und Korruption bis hin zu Verschwörungstheorien, die von einem geplanten „Be-völkerungsaustausch“, Gedankenkontrolle und elitären Ge-heimbünden fantasieren. Die Machthalter*innen werden als Unterdrücker*innen inszeniert, Rechtspopulist*innen als letzte Chance, den wahren Volkswillen zur verwirklichen. Wie so oft ist Donald Trump ein Lehrbeispiel des Populismus: „I am your voice and I alone can fix it.“ In dieser Diktion fehlen die Prinzipien des liberalen, demokratischen Pluralismus: Dass wir alle Grenzen haben, dass wir alle fehlbar sind, dass noch so ehrliche und ambitionierte Politikerin*innen nicht auf alle Fragen die richtige Antwort wissen, nicht wissen können – all das wird in Abrede gestellt. Stattdessen wird ein geradezu gottgleicher Anspruch verlautbart, den Rechtspopulist*innen für sich annehmen, während dies abseits der politischen Büh-ne als Messiaskomplex oder klinischer Narzissmus diagnosti-ziert werden würde. In Ungarn stürzte die sozialdemokratische Regierung  2009 nicht nur über die schlechte Wirtschaftslage in Folge der Finanzkrise 2008, sondern auch über die offen zutage getre-tene Korruption der Regierung selbst. Der vormalige Premi-erminister war 2006 auf Tonband zu hören, wie er bei einem internen Parteireferat jahrelange und öffentliche Lügen seiner Regierung zugab. Die daraufhin ausgebrochene Empörung sorgte für wütende Demonstrationen und schließlich, ge-paart mit der schlechten Wirtschaftslage, für einen Erdrutsch-sieg von Viktor Orbans FIDESZ-Partei bei den Parlamentswah-len 2010. Diese bescherten ihm eine Zweidrittelmehrheit, mit der zahlreiche illiberale Verfassungsänderungen durchgeführt wurden.  Seither sind zwei weitere Mechanismen, besonders in den  letzten Jahren, in Erscheinung getreten: Einerseits eine spe-zielle Form der politischen Lüge, andererseits die damit ver-bundene Personalpolitik. „Das war das größte Publikum, das jemals eine (US-Präsidentschafts) Amtseinführung erlebt hat“, sagte Pressesprecher Sean Spicer über die schwachen Besucher*innenzahlen bei Donald Trumps Feierlichkeiten in Washington. Es war seine erste offizielle Pressekonferenz in seiner neuen Rolle. Er war ein erfahrener politischer Mitar-beiter mit einer beachtlichen Karriere, der seine Glaubwür-digkeit gleich am ersten Tag verspielte. Wozu? Wozu die of-fensichtliche Lüge, warum die eigene Reputation bereits drei Tage vor Dienstantritt derart beschädigen? Die US-russi-sche Journalistin Masha Gessen arbeitet seit Jahren als Auto-  ZUKUNFT | 7 


 8 | ZUKUNFT  „WER HAT ANGST VORM STARKEN MANN?“  VON ALEXANDER ACKERL UND PHIL KAMPER rin zum Thema autokratische Herrscher, insbesondere Putin, und nennt diese Form der Kommunikation eine „Tyrannen-Lüge“. Eine Lüge, von der jeder weiß, dass es eine Lüge ist, aber durch das Bekenntnis und Wiederholung der Lüge be-weist man einerseits die persönliche Loyalität, andererseits die Machtlosigkeit der Opposition. Wer sich an Václav Ha-vels Gemüsehändler erinnert fühlt, weiß: Das ist kein Zufall. Denn diese öffentlichen Loyalitätsbelege sind die Grundlage für Erfolg oder Scheitern in einem autoritären System. Bereits im ersten Jahr der Regierung Trump wurden 45 hochrangi-ge Mitarbeiter*innen entlassen oder gingen freiwillig. Seither schnellte die Zahl auf über 400 hoch. Weder die Strategie noch die Methode sind neu, aber es  ist umso wichtiger, darauf hinzuweisen: Das ist nicht geleb-te Normalität. Stattdessen muss etwas viel Wichtigeres in un-ser kollektives Bewusstsein vordringen – Normen allein sind nicht in der Lage, Autokrat*innen und jene, die es noch wer-den wollen, zu stoppen. Wer sich in das Jahr 2016 zurückver-setzt, erinnert sich, wer oder was Trump am Einzug in das Weiße Haus alles hätte stoppen sollen – die republikanische Elite, die Parteispender*innen, die Basis, die Wahlmänner und -frauen. Im Jahr 2017 konnte man wunderbare Artikel finden, wie das Weiße Haus, die Bürokratie, die Verantwortung und Würde des Amtes allesamt Trump einschränken und limitie-ren würden. Das Gegenteil war der Fall. Sein autoritärer In-stinkt, abseits von ideologischen Überzeugungen und lang-fristigen Strategien, wurde insbesondere durch Widerstand geweckt. Gegen Medien, Gerichte, Sonderermittler oder FBI. Gemeinsam mit seiner korrupten Personalpolitik gelang es in vier Jahren nicht nur die republikanische Partei zu überneh-men, sondern die wichtigsten Checks & Balances der Verei-nigten Staaten von Amerika zu neutralisieren.  V.  ZWEI ECHTE ÖSTERREICHER Henri Tajfel wurde 1919 in Polen geboren und schloss sich  nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges der französischen Armee an. Als er in deutsche Kriegsgefangenschaft kam, stand er vor der schwierigen Entscheidung, ob er seine Nationali-tät und seinen Status als polnischer Jude bekannt geben soll-te. Er entschied sich zum Judentum zu stehen, gab sich je-doch als Franzose aus, was sein Überleben sicherte. Nach dem Krieg studierte Tajfel Psychologie, wurde Universitätsprofes-sor in Durham und Oxford und forschte bahnbrechend im Bereich der sozialen Psychologie. Die fünf Jahre in Kriegsge-fangenschaft und die fatale Entscheidung über die Bekannt- gabe seiner sozialen Identität, noch mehr die lebensentschei-dende Definition anderer über die Bedeutung dieser Identität, bestimmten seine Forschung. 1970 veröffentlichte er „Expe-riments in Intergroup Discrimination“ und stellte fest: „Das wichtigste Prinzip der subjektiven sozialen Ordnung, die wir für uns und andere konstruieren, ist die eigene Klassifikati-on von Gruppen als „wir“ und „sie“.“ Diese Konstruktion schafft den Raum für Diskriminierung, für Wettbewerb, für Unterdrückung und Hass. Die Mechanismen, wie „sie“ her-abgewürdigt werden, sind dabei universell und nur marginal von Raum, Zeit oder Kultur abhängig. Tajfels Forschung zu psychologischen Mechanismen der  sozialen Gruppendynamik beschreiben nicht nur die Schat-tenseiten der menschlichen Seele, sondern auch gezielt die Strategien rechtspopulistischer Diskurse: Die Spaltung der Bevölkerung in authentische und nicht-authentische Be-standteile. Trennlinien sind gerne ethnisch, oft religiös, zen-tral ist aber immer eines: Der Rechtspopulist tritt als Medi-um für die Stimme des „echten Volkes“ auf. In der kurzen Geschichte der Zweiten Republik haben sich schon vie-le Volksvertreter*innen dazu berufen gefühlt, die authen-tische Repräsentanz der „wahren Bevölkerung“ zu sein.    Josef Klaus war 1967 ein „echter Österreicher“, zumindest im Vergleich zum jüdisch-stämmigen Bruno Kreisky. Jörg  Haider und Thomas Prinzhorn bemühten diesen Status im Nationalratswahlkampf 1999, der auch zur FPÖ-Regierungs-beteiligung führte. Jedoch bekamen weder Haider, das enfant terrible der europäischen Politik, noch Prinzhorn, der lautstark über eine Bevorzugung von Ausländer*innen und eine Ab-gabe von Fruchtbarkeitsmitteln an diese fabuliert hatte, ein Regierungsamt. 20 Jahre und zwei weitere FPÖ-Regierungs-beteiligungen später wäre ein Ausschluss der beiden von Mi-nisterämtern durch den Bundespräsidenten de facto undenkbar. In Ungarn hatten die Parlamentswahlen 2010, wie er- wähnt, in einer Zweidrittelmehrheit für das Wahlbündnis der FIDESZ-Partei geendet. Dies nahm Viktor Orban zum An-lass, grundlegende Änderungen an der politischen Verfas-sung vorzunehmen, die seine eigene Machtstellung nachhaltig absichern würde. Die Verfassung, in Ungarn als „Grundge-setz“ bezeichnet, wurde durch die Verfassungsmehrheit im Parlament 2011 durchgepeitscht. Darin wurde die konserva-tive Ideologie von Orbans Partei in den Verfassungsrang er-hoben. Die Ungar*innen wurden ethnisch-kulturell beschrie-ben, die nationalen Minderheiten (etwa die Kroat*innen und Rumän*innen) als „in Ungarn lebende Nationalitäten“ da-


 ZUKUNFT | 9  von unterschieden. Das schließt besonders jene Minderheit aus, die keinen Nationalstaat im benachbarten Ausland hat, die Roma und Sinti. Der Oberösterreicher Jörg Haider agierte in seiner Rolle  als Landeshauptmann von Kärnten ähnlich. Er weigerte sich strikt, die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen der Repub-lik Österreich den Minderheitenschutz betreffend umzusetzen und schaffte es, die Frage der zweisprachigen Ortstafeln als epische Schlacht zwischen den „echten Kärntnern“ und den „volksfremden“ Kärntner Slowen*innen über drei Jahrzehn-te zu inszenieren. Aber zurück zu Tajfel und auch zu Fukuyama: Beide stel- len die Macht der sozialen Identität innerhalb einer „Wir“-Gruppe beindruckend dar. Ob Sportklubs, Musikrichtungen, Marken-Hersteller von Konsumgütern und natürlich eth-nische, religiöse oder politische Gruppen – das soziale Sein bestimmt das Bewusstsein. Wenig überraschend zeigen Ex-perimente rund um Gruppendynamik immer wieder, dass Menschen ihre eigene gefühlte Gruppe immer besser behan-deln als die andere. Überraschend ist, wie sehr die Loyalität zur eigenen Gruppe von der Abneigung gegenüber anderen oft abhängt – also die Macht der negativen Polarisierung von Identitäten. Wenn Rechtspopulisten aus diesem Mechanismus politische Forderungen konstruieren, so passieren sie oft ab-seits eines klaren Vorteils für Ihre eigene Gruppe, aber umso mehr zum Nachteil der „anderen“.  Die wohl bekannteste rassistische Kampagne mit der Or- ban seine „In-Group“ an sich zu binden versuchte, ist jene ge-gen George Soros, den in den USA lebenden, in Ungarn gebo-renen jüdischen Multimilliardär und Investor, der sich seit der Wende 1989 in Ungarn und einigen anderen Ländern Mittel- und Osteuropas mit diversen Stiftungen und Einrichtungen für liberal-demokratische Ziele einsetzt. Rechte Gruppierun-gen malen schon seit Jahren ein Bild von Soros, das diesen mit recht unverhohlenen antisemitischen Anspielungen, als Strip-penzieher diverser Farben-Revolutionen, wie der „orangenen Revolution“ von 2004 in der Ukraine darstellt. Deren wah-res Ziel wäre nicht die nationale Selbstbestimmung gewesen, sondern schlicht regime change im Sinne einer globalen Finan-zelite, die nicht nur den Erhalt der eigenen Macht absichern, sondern auch durch Massenmigration die Charaktere der eu-ropäischen Völker vernichten möchte – oder so ähnlich. Die FIDESZ-Regierung nutzte diese Verschwörungstheorien kon-sequent für sich. Mit Mitteln der Steuerzahler*innen schalte- te die Regierung vor den EU-Wahlen 2019 Werbung, die So-ros als den Verbündeten der EU-Kommission, die Millionen Flüchtlinge nach Europa holen wolle, darstellte. Ein Gesetz, das NGOs gängelte, die Flüchtlingen im Asylverfahren helfen sollten, wurde gleich „Stopp-Soros-Gesetz“ genannt.  Soros’ Privatuniversität Central European University wurde  die erneute Akkreditierung verweigert und diese musste folg-lich das Land in Richtung Wien verlassen. Generell spielt Or-ban gerne auf der Klaviatur, er müsse Ungarn gegen ausländi-sche Einflüsse verteidigen, wobei seine Lieblingsgegner*innen die EU-Kommission sowie andere EU-Mitgliedsländer sind, die nicht rechtspopulistisch oder nationalkonservativ regiert wer-den. Selbstverständlich richtet sich die Politik der FIDESZ un-abhängig von Soros auch im Besonderen gegen Zuwanderung aus dem islamischen Raum. Die Aufnahme von Flüchtlingen wird generell abgelehnt und Nichtregierungs-Organisationen, die diesen im Verfahren zu helfen versuchen, werden stark bedrängt und finanziell eingeengt. All das begründet Orban mit dem christlichen Charakter Ungarns, der durch Zuwan-derung aus islamischen Ländern verschwinden würde. Das Spannende ist, wie wenig die ungarische Bevölkerung  von den antisemitischen Kampagnen gegen Soros profitiert. Das Ansehen des Landes als erfolgreiches Beispiel der euro-päischen Integration ist erodiert, die gewaltigen Investitionen, die hinter der Central European University stehen sind ebenfalls weg und mit Ihnen die Chancen, die aus einem modernen Bildungshub entspringen könnten. Mindestlöhne, Gehälter oder soziale Absicherung sind dadurch auch nicht gestiegen. Selbiges kann über die rassistische Politik in den USA gesagt werden: Der einzige moderne Staat ohne universelle Gesund-heitsversicherung oder robuste soziale Netze ist auch deshalb in diesem Zustand „festgefroren“, weil die unablässigen rassis-tischen Hetzkampagnen gegen Schwarze und andere Minder-heiten den Gedanken an allgemeine Sozialleistungen bisher blockiert haben.  Während also innere und äußere Feinde der Regierung  zur Konsolidierung ihrer Macht gelegen kommen, darf auch auf den sozialstaatlichen Aspekt nicht vergessen werden. Ein starker Staat kommt auch seiner väterlichen Fürsorgepflicht nach. Die Regierungen in Polen und Ungarn haben über die Jahre hinweg diverse Sozialleistungen eingeführt, durch die sie gerade bei den ärmeren Landbevölkerungen an Unterstüt-zung erfahren. Diese dürfen dabei natürlich nicht auch von Migrant*innen beansprucht werden, was wiederum nur die 


 10 | ZUKUNFT  „WER HAT ANGST VORM STARKEN MANN?“  VON ALEXANDER ACKERL UND PHIL KAMPER rechtspopulistische Regierung garantieren könne. Dass viele der hierfür aufgebrachten Gelder etwa aus EU-Transferzahlun-gen stammen bleibt meist unerwähnt. VI.  „LINKE JAGDGESELLSCHAFT“ – „ENEMIES OF  THE PEOPLE“ Es gab keinen Zeitpunkt in der Menschheitsgeschich- te, zu dem es einfacher war, an Informationen zu kommen, Auskunft zu erhalten und das Erfahrene zu verifizieren. Den-noch wachsen Polarisierung und Vertrauensverlust. Nach ei-ner Gallup-Umfrage haben nur noch 41 % der US-Bevölke-rung grundlegendes Vertrauen in etablierte Massenmedien (vgl. https://tinyurl.com/ywhjq7m6). Natürlich gibt es ei-nen legitimen Platz für Medienkritik. Die digitale Revolution schuf enormen Wettbewerb, es kam zum Verlust der „Gate-keeperfunktion“, sowie der Werbeeinnahmen und zu weni-ger Bereitschaft der Bevölkerung, für Nachrichten zu bezah-len. Die Herstellung von „Click-Bait“ als Schlagzeilen, die zu Klicks führen, folgen den von Tajfel und Kollegen entwi-ckelten Thesen der Gruppendynamik. So bekommt nicht nur jede/r die Positivmeldungen, die sie hören wollen, sondern die noch effektiveren Negativmeldungen. Unzählige Studien, beispielsweise von Allison Chaney an der Duke University, zeigen den deutlichen Zusammenhang zwischen wachsenden Mediensilos, in denen nur eine Perspektive als die richtige an-erkannt wird, und der wachsenden Polarisierung der Gesell-schaft. Algorithmen der sozialen Medien verstärken diesen Ef-fekt um ein Vielfaches. Als Teil der Elitenkritik und zur Entmachtung von journa- listischer Kritik ist das rechtspopulistische Manöver daher, die Medien selbst in eine Outgroup zu verwandeln. Schon Jörg Haider und die FPÖ hatten ihnen unliebsame Journalist*innen als Teil der „linken Jagdgesellschaft“ tituliert und 1993 davon fabuliert, dass in den Redaktionsstuben „künftig weniger ge-logen“ werde, wenn Haider erst einmal etwas zu sagen habe. Der uns heute geläufigste Begriff für diese Strategie der Dele-gitimierung der Medien wurde von Donald Trump populari-siert: Fake News. Nachrichten, die den Rechtspopulist*innen nicht genehm sind, werden pauschal als erfunden abgetan, als Ausgeburt einer offensichtlichen Verschwörung der Eliten, die durch die von ihnen kontrollierten Medien die Wahrheit verdrehen. Ob Donald Trump, Jair Bolsonaro oder Heinz-Christian Strache: Sie alle haben die Kunst übernommen, ihren Anhänger*innen jede mediale Kritik oder missliebige Enthüllung als Fake News zu verkaufen.  Orban hatte es, natürlich, in seinem Land bereits vorex- erziert. Nicht umsonst sprach Strache in der Finka auf Ibiza bewundernd, er wolle „eine Medienlandschaft wie der Or-ban“. In der Tat sind Orbans nachhaltigste Instrumente zur Konsolidierung seiner Macht wohl nicht so sehr Rassismus und Chauvinismus oder die regelmäßigen Konfrontationen mit „Brüssel“. Vielmehr nützte er die bisherigen 10 Jahre sei-ner Regierungszeit dazu, die Medienbranche in seinem Land beinahe vollkommen gleichzuschalten. Die NGO Reporter ohne Grenzen führt Ungarn heute nur mehr auf Rang 89 von 180 Ländern, was die Pressefreiheit betrifft. 2010 war es noch Platz 23 gewesen. Der öffentliche Rundfunk, der seit der Wende budgetfinanziert wurde, geriet nach Orbans Amtsantritt bei-nahe sofort in Abhängigkeit der Regierung, die ihn heute als Sprachrohr verwendet. Private, der Opposition nahestehen-de, Medien wurden finanziell ausgehungert, indem bei ihnen keinerlei Regierungsinserate mehr geschaltet wurden. Dieje-nigen, die es nach wie vor gab, wurden von regierungsnahen Oligarchen der Reihe nach aufgekauft, wobei manche ein-fach zugesperrt wurden und andere einen hundertprozentigen Personalaustausch erlebten. Die internationale NGO Freedom House, deren Ziel es ist, li- berale Demokratien zu fördern, bewertet Ungarn heute als einziges EU-Mitglied mit partly free. Dies liegt daran, dass die Regierung ihre Ressourcen in Wahlkämpfen hemmungs-los für die eigenen Kandidat*innen einsetze, der Oppositi-on den Zugang zu den weitgehend regierungsnahen Medi-en verwehre und keine Scheu habe, Schmutzkübelkampagnen gegen Oppositionskandidat*innen zu lancieren. Die Wahlen laufen also zwar technisch sauber ab, dies ist jedoch durch den sehr unfairen Wahlkampf nur ein schwacher Trost. Jüngst ge-lang es der sehr zersplitterten Opposition, mit der Orban bis-her leichtes Spiel hatte, dennoch bei Kommunalwahlen mit-tels Einheitslisten Erfolge zu erringen. Beispielsweise stellt die Grüne Partei jetzt den Bürgermeister von Budapest. Nichtdestotrotz befindet sich die Kommunikationsfreiheit  in Ungarn auf der Intensivstation. Momentan scheinen weder die zahnlosen Verfahren vor dem EuGH, noch die Ermahnun-gen der europäischen Nachbarländer etwas an Orbans Kurs zu ändern. Im Gegenteil: Ende November 2020 befindet sich das neue EU-Budget aufgrund des Vetos von Ungarn und Polen in einer Blockadesituation, weil die beiden Länder die darin enthaltenen Demokratie- und Rechtsstaats-Sanktionen par-tout nicht akzeptieren wollen. Die Frage des Medienvertrau-ens stellt auch die gesamte Demokratie der Vereinigten Staa-


 ZUKUNFT | 11  ten Ende 2020 auf die Probe. Wer die Wahlen gewonnen hat, ob es Wahlbetrug gab und ob eine finstere Elite die Menschen entmachtet, wird nicht anhand von Gerichtsurteilen oder un-abhängigen Quellen, sondern aus den Echos der Mediensilos beantwortet. VII. DIE FREIHEIT, DIE ER MEINT. AUF DEM WEG IN  DIE DRITTE REPUBLIK Ein dritter wesentlicher Aspekt ist das Streben des „Star- ken Mannes“ nach völliger Kontrolle über die staatlichen In-stitutionen. Eine parlamentarische Mehrheit ist dabei nur der erste Schritt, denn wirklich nachhaltig lässt es sich nur herr-schen, wenn neben der Exekutive und der Legislative auch die Judikative als dritte Säule des gewaltentrennenden Rechts-staats an die Leine genommen wird. Eine noch so große par-lamentarische Mehrheit für die Regierung wird stets limitiert sein, wenn diese sich nach Grundrechten, wie sie die Euro-päische Menschenrechtskonvention normiert, oder der ver-fassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zu richten hat. In den  USA setzen die Republikaner*innen seit Jahren darauf, die Bundesgerichte mit ihnen nahestehenden Richter*innen zu besetzen. Präsident Trump hat in dieser Hinsicht inner-halb seiner ersten vier Jahre mehr Richter*innen ins Amt ein-gesetzt als jeder andere US-Präsident zuvor. Die Besetzung des Obersten Gerichtshofs ist dabei von vordringlicher Be-deutung, da dem Gericht gerade in Zeiten der zunehmen-den Handlungsunfähigkeit des US-Kongresses mehr und mehr die Aufgabe zufällt, politische Debatten durch Präzedenzent-scheidungen zu klären. Trump hat mit Stand Ende 2020 drei Richter am Supreme Court ernannt, was das dortige Stim-menverhältnis mit sechs zu drei zugunsten der Konservativen kippen ließ. Auch die Wahl von Joe Biden und (sehr knap-pe) Mehrheiten in beiden Kammern wird diesen Überhang wahrscheinlich nicht ausgleichen. Die Rolle und Besetzung des Verfassungsgerichtshofes  waren in Ungarn vor Orbans zweiter Amtszeit eher kein The-ma gewesen. Der demokratisch-politische Prozess war bis dato noch nicht so weitgehend polarisiert, als dass nicht meist par-lamentarische Mehrheiten für Reformvorhaben zu finden ge-wesen wären, die auch der Verfassung entsprachen. Mit dem Umbau Ungarns zu einer von Orban angekündigten „illibe-ralen Demokratie“ wurden auch die Verfassungsrichter plötz-lich zum Politikum. In mehreren Gesetzespaketen verabschie-dete Orbans Zweidrittelmehrheit einen neuen Modus zur Wahl der Richter, beschnitt ihre Kompetenzen und verbot  es dem Gericht, sich auf Präzedenzentscheidungen von vor 2012 zu berufen. Zudem wurden Gesetze, die zuvor als verfas-sungswidrig eingestuft wurden, im Verfassungsrang erneut be-schlossen und damit der Prüfung des Gerichts entzogen. Zur Kontrolle staatlicher Institutionen gehört auch die Besetzung der Exekutivorgane. Staatsanwaltschaften, der Geheimdienst, die Polizei und das Militär werden mit FIDESZ-treuem Per-sonal besetzt. Insgesamt lässt sich eine Aushebelung der Ge-waltentrennung beobachten, die jedoch in der Bevölkerung nicht unpopulär sein dürfte. Ungarns Bevölkerung hatte in weiten Teilen auch nach der Wende nie wirklich Vertrauen in den Staat und befürwortet paradoxerweise gerade darum ei-nen starken, paternalistischen Staat mit einem „starken Mann“ an der Spitze. Auch in Polen gibt es schon länger Bestrebun-gen der PIS-Regierung, die Judikative unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch hier steht das Verfassungsgericht im Zentrum der Bemühungen. Und hier ist es ebenfalls zu einer Reihe von Verfahren vor dem EuGH gekommen, die meist erst spät entschieden werden und den angerichteten Schaden kaum mehr zu reparieren vermögen. Erneut: Alle Institutionen, die Widerstand leisten können, müssen delegitimiert oder dekon-struiert werden. VIII. CONCLUSIO: WAS IST DIE SOZIALDEMO- KRATISCHE ANTWORT AUF DIE ILLIBERALE DEMOKRATIE? Der amerikanische Autor und Bürgerrechtler Andrew  Sullivan schrieb: „Der große Vorteil einer fortschrittlichen Demokratie ist, dass man sich nicht ständig damit befassen muss.“ In Wahrheit ist das keine clevere Analyse, sondern der Grund des Scheiterns von modernen Demokratien. Der Er-folg von Populist*innen basiert nicht nur auf unserem inhä-renten Stammesdenken, Medien, die Profit mit Polarisierung machen, oder charismatischen Narzisst*innen, die in eine ur-alte Trickkiste greifen. Moderne Demokratien scheitern am Engagement der Bevölkerung. In einer atemlosen Zeit, ge-hetzt von materiellen Bedingungen und einer Flut aus Infor-mationen und Desinformationen (©Alfred Dorfer), fehlen Orientierung und Bereitschaft, politische Präferenzen zu for-mulieren und zu verlangen. Der Auftrag an die Sozialdemo-kratie ist es daher nicht nur, mit den Menschen „ein Stück des Weges“ zu gehen, sondern die Wege zwischen Politik und Mensch zu verkürzen. Mehr als das muss eine klare Inklusion aller demokrati- schen Kräfte gelebt werden. Wie wir Beispiel für Beispiel se-


„WER HAT ANGST VORM STARKEN MANN?“  VON ALEXANDER ACKERL UND PHIL KAMPER hen, sind demokratische Normen und Gesetze nur so stark wie die Breite der Gesellschaft, die für sie eintritt. Es gibt we-der rechtliche noch politische Mechanismen, die eine Erosion des liberalen Rechtsstaats oder der Demokratie automatisch stoppen. Es sind Institutionen und Organisationen, Zivilge-sellschaft und Medien, Parteien und Menschen, die autoritäre Tyrannen zulassen oder nicht. Dafür muss man diesen Institu-tionen und Menschen auch den Rücken stärken.  Der gescheiterte Coupversuch durch Donald Trump und  der gewaltsame Sturm des Kapitols am 06. Jänner 2021 zeigen deutlich, wie fragil demokratische Prozesse sind. Dass Trump und seine Anhänger das Wahlergebnis nicht akzeptieren wol-len ist wenig überraschend, dass Mitglieder des Senats und Teile der Medien dieses Schauspiel eigennützig begleiten da-gegen schon mehr. Insbesondere, da es den Senatoren offen-sichtlich nur um die Ankreidung des Systems ging, schließlich beeinspruchten sie den Wahlvorgang in nur zwei Bundesstaa-ten – also zu wenige, um Biden den Wahlsieg abzuerkennen. Selbst ohne Amt und ohne Twitter waren und sind sie bereit die demokratischen Grundfesten der USA für einen potenziel-len Vorteil bei den nächsten republikanischen Vorwahlen zu sprengen. Hannah Arendt hat mit „der Banalität des Bösen“ dafür die richtige Formulierung gefunden. Medien, als vierte Säule der Demokratie, müssen unge- bunden an Regierungsloyalität kritische Berichterstattung und Meinungsvielfalt leben können. Dies wird nur durch aus-reichende öffentliche Unterstützung, auch von europäischer Seite, möglich sein. Politische Parteien müssen nicht nur mit ihren eigenen Gefälligkeiten aufräumen, sondern europaweit ihre Energien in eine Stärkung von demokratischen Rechten und Freiheiten richten.  Politische Bildung als Werkzeug, um politische Realitä- ten bestmöglich zu begreifen, ist ebenfalls ein Feld, das nicht länger ignoriert werden darf. Letztlich braucht es auch einen  Digitalen Humanismus in der Diskursfreiheit. Die Amplifikation der lautesten, skandalträchtigsten Stimmen darf nicht der rele-vante, kommerzielle Zweck von Medien und sozialen Medien sein. Die Algorithmisierung unserer inhärenten Polarisierung kann nur zu Brüchen der Gesellschaft führen, ein teurer Preis dafür, konstant mit Hass beschallt zu werden. Und natürlich kann man die soziale Frage auch in der Antwort darauf, wie man Rechtspopulismus erfolgreich bekämpft, niemals aus dem Zentrum nehmen. Populismus jeder Art gewinnt, wenn  demokratische Systeme nicht aktiv auf gesellschaftliche Be-dürfnisse und Bruchlinien eingehen. Das erfordert Mut, aber auch Systeme, die dazu in der Lage sind. 25 Jahre nach Öster-reichs EU-Beitritt und mannigfaltigen Krisen später, hat Euro-pa die Botschaft von Willy Brandt immer noch nicht verstan-den: Mehr Demokratie wagen! ALEXANDER ACKERL  hat Politikwissenschaften und Rechtswissenschaften an der   Universität Wien studiert. Er ist seit 2009 SPÖ-Mitglied, war von 2010 bis  2013 beim Verband Sozialistischer Student_innen (VSStÖ) und   ist seit 2014 bei der Jungen Generation in der SPÖ Wien aktiv.   Dort leitet er die Projektgruppe Europa. PHIL KAMPER  studierte Internationale Beziehungen und Volkswirtschaft an der  Johns Hopkins Universität, School for International Studies.   Er arbeitete in den letzten 10 Jahren in einer Reihe von Wahlkampf- kampagnen in Österreich, im EU-Raum und den Vereinigten Staaten.   Seit 2018 arbeitet er als Referent im politischen Büro vom amtsführenden  Stadtrat für Finanzen, Wirtschaft, Digitalisierung und Internationales der  Stadt Wien, in den Bereichen Internationale Beziehungen,  Standortpolitik sowie europäisches Lobbying.   12 | ZUKUNFT 


 ZUKUNFT | 13   ZUKUNFT | 13  PATRICK AUSSERDORFER WU WIEN (2013) Surroundings © Patrick Ausserdorfer


 14 | ZUKUNFT  1. EINLEITUNG In der Menschheitsgeschichte wurden seit jeher Mei- nungen, Haltungen und Ideen durch gezielte Falschdar-stellungen manipuliert. Spätestens mit der Erfindung der Gutenberggalaxis treten diese Manipulationsmöglichkei-ten in den Schriftraum ein und spielen gerade im digita-len Zeitalter der Wissens- und Informationsgesellschaft – also auch im Bereich der Baudrillardschen Simulation(en) 1   – nach wie vor eine äußerst eminente Rolle. Die media-len Wirkungen und Ausprägungen derartiger Informati-onsmanipulationen sind vielfältig, was angesichts von Fake News und propagandistischen Werbestrategien 2  keines- wegs der Aktualität entbehrt. Deshalb wird in diesem Ar-tikel der knappe Versuch unternommen, derartige Manipu-lationsstrategien anhand von drei konkreten Beispielen zu beleuchten, die in chronologischer Reihenfolge betrachtet  werden. Den Anfang macht das wohl bekannteste Radio-hörspiel der Geschichte: Orson Welles’ Krieg der Welten aus dem Jahr 1938. Im Anschluss daran betrachtet der Beitrag die Strategie der Berichterstattung im Irak-Krieg und damit die embedded journalists, um dann zum Abschluss die geziel-te manipulatorische Diffamierung der Seenotretterin Carola  Rackete im Jahr 2019 zu analysieren. 2. KRIEG DER WELTEN Als am 30. Oktober 1938 Orson Welles im Radio Stu- dio des Columbia Broadcasting System saß, konnte er nicht ah-nen, welche Wirkung die Adaption des Buches Der Krieg der Welten 3   von H. G. Wells durch Howard Koch auf seine  Zuhörer*innen haben würde. Während der Ausstrahlung der Produktion wurde zwar mehrmals darauf hingewiesen, dass es  MEDIENMANIPULATION IM ZEITALTER IHRER TECHNISCHEN REPRODUZIERBARKEIT  VON RENE WINDEGGER Der Beitrag von  RENE WINDEGGER  behandelt anhand von drei medialen Beispielen die Frage, wie durch Manipulation  und Propaganda die Grenze von Wahrheit und Lüge verwischt wird und so auch die Ausschaltung der Demokratie voran-getrieben werden kann. Medienmanipulation im  Zeitalter ihrer technischen  Reproduzierbarkeit Benjamin und McLuhan haben klarer als Marx gesehen,  daß die wirkliche Botschaft,  das eigentlich letzte Wort in der Reproduktion selbst liegt.  Und das die bloße Reproduktion keinen Sinn hat:   ihre gesellschaftliche Finalität geht  in der Serienproduktion verloren.  Die Simulakren sind der Geschichte überlegen. Jean Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod


 ZUKUNFT | 15  sich bei dem Programm um ein Hörspiel handelt, 4  dennoch  sorgte Welles für eine Massenpanik: „A wave of mass hysteria seized thousands of radio liste- ners throughout the nation between 8:15 and 9:30 o’clock last night when a broadcast of a dramatization of H. G. Wells’s fantasy, ‘The War of the Worlds’ led thousands to believe that an interplanetary conflict had started with invading Marti-ans spreading wide death and destruction in New Jersey and New York. The broadcast, which disrupted households, in-terrupted religious services, created traffic jams and clogged communications systems, was made by Orson Welles, who as the radio character, ‘The Shadow,’ used to give ‘the creeps’ to countless child listeners. This time at least a score of adults re-quired medical treatment for shock and hysteria.“ 5 Diese breit wirkende Massenhysterie ist unter anderem da- rauf zurückzuführen, dass die Sendung formal und inhaltlich genauso aufgebaut war, wie eine normale Nachrichtensen-dung. Bereits im Jahr 1926 produzierte Ronald Knox für die BBC in England eine sehr ähnlich strukturierte Sendung na-mens Broadcasting the Barricades, 6  welche Welles dann als Inspi- ration dienen sollte. 7  Auch in Australien wurden bereits 1927  durch eine fingierte Invasion durch fremde Mächte, welche über vorgetäuschte Radionachrichten systematisch verbreitet wurde, ähnliche Reaktionen ausgelöst. 8 Die gewählte Darbietungsform hatte zur Folge, dass vie- le Hörer*innen, welche erst mitten im Programm ihr Radio  eingeschaltet hatten, die gänzlich fiktiv aufgebaute Geschich-te für wahr hielten und als Teil ihrer Realität wahrnehmen konnten. Auch die gesamtgesellschaftliche Anspannung durch den kurz zuvor begonnenen 2. Weltkrieg und die da-mit verbundenen massenpsychologischen Ängste trugen zu dieser Auffassung bei und stellten den Kontext von Welles radiofonem Weltenkrieg dar. 9  Viele der Zuhörer*innen ver- suchten panisch unter Verwendung eines weiteren techno-logischen Mediums vergeblich den, durch Überlastung der Telefonleitungen, nicht erreichbaren Radio Sender CBS an-zurufen. Und selbst die Notrufleitungen der Behörden wa-ren durch die Reaktionen auf die breitenwirksame Ausstrah-lung überlastet. 10 Auch wenn viele Menschen durch die geschickt geplan- te Radiosendung in Panik gerieten, können wir heute nicht mehr von einer echten Massenpanik sprechen, denn das Aus-maß der Panik war auf das Empfangsgebiet beschränkt und Zuhörer*innen, welche sich in den in der Ausstrahlung ver-wendeten Regionen befanden, konnten keine Anzeichen auf eine echte Attacke wahrnehmen. Dennoch verließen viele Ihre Häuser und versuchten sich mit nassen Tüchern vor dem in der Geschichte erwähnten Giftgas zu schützen. 11 Selbst Adolf Hitler nahm, in einer Rede im Bürgerbräu- keller am 08. November 1938, auf die Ausstrahlung Bezug: Brad A. Schwartz und Sean Runette halten dahingehend fest: „Even Hitler made a crack about the incident in a speech  one week after the broadcast. ‘I have to do everything – and will do everything – to keep Germany so well armed and equipped that her peace can never again be threatened,’ he told a crowd in Munich on November 8. ‘That does not mean that I will start a war scare in the world, a panic, perhaps, about an impending invasion of Martians.’“ 12   Orson Welles merkte in einem Interview mit H. G. Wells  dahingehend selbst an, dass Hitler die Massenpanik als Beweis für den „korrupten Zustand und die Dekadenz in Demokra-tien“ verwendete. Insgesamt zeigt dieser fast schon klassische Fall von fake news, wie mediale Inszenierungen und Manipu-lationen auch noch in unseren Gesellschaften des Spektakels 13  die Grenze von Realität und Fiktion, von Wahrheit und Lüge umkehren können, um im symbolischen Raum reale Eindrü-cke zu evozieren, die durchwegs konstruiert und inszeniert sind. Ein Mechanismus, der auch in der (jüngeren) Zeitgeschichte mehrfach ausgemacht und analysiert werden kann. Orson Welles,  War of the Worlds (1938)  © Wikimedia Commons (author: AtomCrusher)


 16 | ZUKUNFT  3. INTEGRIERTER JOURNALISMUS IM IRAKKRIEG Auch der von George W. Bush am 20. März 2003 mit der  Bombardierung ausgewählter Ziele in Bagdad eröffnete Irak-krieg oder Dritte Golfkrieg wirft mit den weithin bekannt ge-wordenen Embedded Journalists derartige Probleme auf. Diese Form des militärisch integrierten Journalismus stellt bis heu-te die Unabhängigkeit von Journalist*innen in Frage, welche gezielt und dezidiert einer militärischen Einheit zugewiesen wurden und nach wie vor werden. Schräglagen in der In-formationslage sind damit buchstäblich vorprogrammiert. Ge-prägt wurde der Begriff der Embedded Journalists direkt von den amerikanischen Streitkräften, die dazu übergegangen waren, Journalist*innen auf ihre Sicht der Dinge festzulegen, wo-durch die klassische Form der journalistischen Berichterstat-tung, nach der etwa in einem Krieg von beiden Seiten zu be-richten ist, ausgehebelt wurde. Die US-Armee ermöglichte es zwar – auch aufgrund des  Drucks der Massenmedien – Journalist*innen direkt vor Ort von Kampfhandlungen und anderen Ereignissen im Umfeld der stationierten Einheiten zu berichten. In den vorangehen-den Konflikten war die Berichterstattung aus den Kriegsge-bieten in dieser Form nicht möglich. Dennoch ergab sich mit dieser Einbettung der Journalist*innen auch eine mehr als einseitige und kriegsstrategisch „gefärbte“ Berichterstat-tung. Andere Formen der militärischen Berichterstattung fan-den bereits in der Antike, vor allem zu Zeiten Alexander des Großen, Verwendung. 14  Auch im zweiten Weltkrieg wurden  systematisch Propagandakompanien eingesetzt. Diese sind je- doch nicht als integrierte Journalist*innen zu bezeichnen, da diese Kompanien aus befehlsgebundenen Soldaten bestan-den und einzig die Aufgabe der Propaganda wahrgenommen haben. 15   Vor dem Einsatz als integrierte Journalist*innen muss- ten die Berichterstatter*innen ein spezielles Training, in ei-nem sogenannten Media Boot Camp, absolvieren. 16  Des Weite- ren wurde den eingesetzten Journalist*innen eine Sammlung von Regeln auferlegt. Diese mussten sie unterzeichnen und wurden bei Nichtbefolgung aus dem Pool der Embedded Jour-nalists ausgeschlossen. 17 Der Einsatz von integrierten Journalist*innen für die Be- richterstattung war stets von Kritik begleitet. Die Kritiken be-zogen sich auf die durch die bereits erwähnten Ground Rules implementierten Zensurmechanismen. So wurden die integ-rierten Journalist*innen auch als nicht unabhängig, sondern als Angestellte der Armee bezeichnet. „As with many concerns about embedding, the U.S. mi- litary and media critics viewed the lack of context on televi-sion from different perspectives. In his post-invasion analysis of the embedding system, Lieutenant Commander Brendan McLane expressed concern about decontextualized reporting, but he had a very specific definition of context. For him, a lack of context meant a lack of comprehension of the tactical and operational objectives of the war (McLane 2004, 86). He considered embedded journalists to be employees of the mili-tary and not employees of news organizations that should re-port the details of military engagement within a larger politi-cal context.“ 18 Manche  Embeds  betrieben sogar selbst Zensur, um den  Ansprüchen des Regelwerks zu genügen und nicht aus dem Pool der Embedded Journalists ausgeschlossen zu werden. Chris-topher H. Sterling analysiert diesen Zusammenhang punktge-nau, wenn er schreibt: „As for selective access to government information, the  danger here is more straightforward: journalists need that in-formation (in order to fulfill their watchdog role) yet govern-ment can and often does delay or deny access to informati-on. There is a danger that journalists will become discouraged and report on government officials in a negative or accusa-tory manner, or simply rely upon press release handouts. For example, journalists who wanted to report on the 2003 inva- MEDIENMANIPULATION IM ZEITALTER IHRER TECHNISCHEN REPRODUZIERBARKEIT  VON RENE WINDEGGER Ein dem US-Militär zugewiesener Journalist schießt Fotos von US-Soldaten © Wikimedia Commons (author: Rama)


 ZUKUNFT | 17  sion of Iraq could only do so by being ‘embedded’ in U.S. mi-litary units after agreeing to various conditions restricting the content of their reporting. As a result of that arrangement, numerous instances of self-censorship occurred, resulting in some compromising of journalistic independence and thus credibility.“ 19 So lässt sich auch angesichts der Einbettung journalisti- scher Unabhängigkeit klar vor Augen führen, mit welchen politischen Mitteln und Machttechnologien gerade angesichts der Brutalität eines illegitimer Weise vom Zaun gebrochenen Krieges – denken wir noch einmal an die weapons of mass de-struction, die Saddam Hussein bekanntermaßen nie besessen hat – eine homogenisierte mediale Wahrnehmung in Gang gesetzt wird. So kann ein Medienspektakel in Szene gesetzt werden, um die Bevölkerung(en) an der Stange zu halten und ihre Loyalität mit den Truppen zu erzwingen. Ein weiteres Beispiel wäre genau hier auch der Fall der Dixie Chicks, deren Karriere in der amerikanischen Country-Szene beinhart be-endet wurde, nachdem sie sich als Texanerinnen kritisch über den Texaner George W. Bush und seine Kriegsgeilheit geäu-ßert hatten. 20   4. CAROLA RACKETE UND DER HITLERGRUSS  Auch in der Gegenwart bzw. im Jahr 2019 finden wir  den in diesem Beitrag durchgängig diskutierten Problem-kreis der manipulierten Information. Im Mittelmeer kreuzt ein Rettungsschiff vor der Küste Lampedusas. An Bord der Sea Watch 3 befinden sich 52 Flüchtlinge, welche im Mittel-mehr in Seenot gerieten. 21  Mehrere Wochen kreuzt die Sea- Watch 3 bereits vor Lampedusa, dennoch wird ein Einlaufen in den Hafen durch die italienischen Behörden nicht genehmigt. Mitte Juni gibt es einen Lichtblick in der schwierigen Situ- ation mit den Behörden. Es wird zehn Geretteten gestattet an Land zu gehen. Es handelt sich um Minderjährige, Schwange-re und kranke Flüchtlinge, welche die Erlaubnis erhalten, das Schiff zu verlassen. 22  Der ehemalige italienische Innenminister  Mateo Salvini, Mitglied der rechtsextremen Partei Lega Nord, richtete sich in dieser Zeit mit regelmäßigen Diffamierungen an die Medien. Er kriminalisierte die Seenotretterinnen und Seenotretter und diffamierte damit menschen- und seerecht-lich sowie ethisch gänzlich legitimes Verhalten: „Innenminister Salvini bezeichnete die Retter als ‘Piraten’  und ihre Rettungsaktionen als ‘illegal’. Der Vize-Regierungs-chef wird auch als treibende Kraft hinter dem jüngsten Dekret der italienischen Regierung gesehen, wonach die Rettung von Flüchtlingen unter Strafe stehen kann. Hilfsorganisatio-nen drohen Bußgelder bis 50.000 Euro.“ 23 Dies führt Salvini auf ein von ihm kurz nach Amtsantritt  erlassenes Verbot zurück. Bereits am 13. Juli 2019 reagierte die Hilfsorganisation mit einer Rufschädigungsklage gegen  Salvini. 24  Ihren Höhepunkt erreichte die Berichterstattung  dann Ende Juni 2019. Carola Rackete lief, durch die Zustände an Bord gezwungen, am 29. Juni 2019 den Hafen von Lam-pedusa an, was international Kritiker und Befürworter auf den Plan rief: „Der deutsche Grünen-Chef Robert Habeck kritisier- te das Vorgehen der italienischen Behörden. ,Die Verhaftung von Kapitänin Rackete zeigt die Ruchlosigkeit der italieni-schen Regierung und offenbart das Dilemma der europäi-schen Flüchtlingspolitik‘, sagte Habeck dem Redaktionsnetz-werk Deutschland.“ 25 Ab diesem Punkt überschlagen sich die Meldungen. Ca- rola Rackete wird unmittelbar nach dem Einlaufen in den Hafen von Lampedusa verhaftet und die Sea-Watch 3 beschlag-nahmt. 26  Es entsteht auch ein Bild, das wenig später hoch- gradig retuschiert über mehrere Kanäle im Internet verbrei-tet wird. 27  Bereits am 05. Juli 2019 wird bekannt, dass es sich  bei dem Bild, auf dem Carola Rackete den Hitlergruß zeigt, um ein hochgradig manipuliertes Bild handelt, bei dem ihre rechte Hand buchstäblich digital „gestreckt“ wurde. 28  In den  folgenden Wochen erzielte das gefakte Bild vor allem in den Sozialen Medien eine immer größere Reichweite und wird so-mit massenwirksam und gänzlich unhinterfragt verbreitet. Es wurde dabei systematisch versucht, ein falsches Bild der Ret- Carola Rackete: Zeigt sie hier den „römischen Gruß“? © Mimikama


 18 | ZUKUNFT  MEDIENMANIPULATION IM ZEITALTER IHRER TECHNISCHEN REPRODUZIERBARKEIT  VON RENE WINDEGGER tungsaktion zu verbreiten und Carola Rackete menschlich und rechtlich zu diffamieren. Auch in diesem äußerst aktuel-len Fall lässt sich mithin zeigen, wie Inszenierungen und Ma-nipulationen im Zeitalter der Fake News, der Simulakren und der technischen Reproduzierbarkeit eingesetzt werden kön-nen, um bestimmte Bilder in die Köpfe der (oftmals unkriti-schen) Konsument*innen zu treiben. All diese Beispiele zei-gen dabei auch auf, wie gefährdet unsere Demokratien durch ebensolche Manipulationsstrategien sind 5. CONCLUSIO Manipulation durch tendenziöse Berichterstattung gab es  wohl zu allen Zeiten (in) der Geschichte. Die Mittel der Ma-nipulation haben sich allerdings im Laufe der Zeit und parallel zur Medienentwicklung verändert. Auch wenn in diesem Ar-tikel nur auf wenige großflächige Manipulationen eingegan-gen wurde, lassen sich darüber hinaus viele weitere Beispiele für geschickte Manipulation(en) von Information(en) finden. So lässt sich das globale Verbot von Cannabis auf eine ge- zielte Kampagne der Desinformation in den 1930er-Jahren zurückführen. Harry J. Anslinger startete, als er bereits das Ende der Prohibition befürchtete, die Produktion und Ver-breitung von falschen Berichten. Diese sogenannte Reefer Madness Kampagne wurde von den Massenmedien und dem Kongress verwendet, um ein neues Feindbild zu schaffen. Die Geschichte von Victor Licata stellt ein besonders perfides Bei-spiel dieser Kampagne dar: „He told the congressmen about two boys in Chicago  who murdered a policeman while under the influence of ma-rijuana, and about a fifteen-year-old who went insane. And he mentioned the one crime that horrified him most, the grisly story of Victor Licata, a twenty-one-year-old boy from Flo-rida who slaughtered his whole family with an ax. ,The evi-dence showed that he had smoked marihuana,’ said Anslinger. He didn’t bother to mention that Victor Licata had been di-agnosed as mentally unstable long before he took that hit of marijuana.“ 29 Selbst heute wäre es denkbar, eine groß angelegte Manipu- lation durchzuführen. Vor allem durch die Möglichkeiten des Fernsehens und der stark verbreiteten Sozialen Medien wird eine systematische, propagandistische und demokratiegefähr-dende Manipulation der Massen tagtäglich vereinfacht. Geziel-te Zensur war, ist und bleibt deshalb auch im 21. Jahrhundert  eine permanente Gefahr im Bereich von Fake News, Mani-pulation und Propaganda, weil sie einer Unterwanderung von demokratischen Grundstandards entspricht. Das abschließend erwähnte Beispiel des manipulierten Bildes von Carola Racke-te stellt dahingehend nur die Spitze des Eisberges dar. Die Manipulation bei Orson Welles’ Krieg der Welten ge- schah eher unbeabsichtigt, da die Effekte nicht geplant waren. Dennoch stellen sie auch heute noch eine gewisse Gefahr für die Gesellschaft und die Demokratie dar. Selbst heute wäre es mit fingierten Nachrichtensendungen möglich, einen Groß-teil der Bevölkerung in einen massenpsychologisch effektuier-ten Panikzustand zu versetzen, um eine bestimmte Sicht der Dinge – frei nach Noam Chomsky – „einzuhämmern“. Vie-le antidemokratische Gruppen machen sich Manipulation(en) zum Mittel und zum Werkzeug. So lässt sich etwa auch das Erstarken der Bewegung der Identitären erklären, deren öster-reichische Schlüsselfigur mit ihrem Account auf YouTube tau-sende Seher*innen mit übertriebenen und auch einfach erloge-nen Videos erreicht hat. So bezogen sich auch mehrere rechtsextreme Attentäter  in der jüngsten Vergangenheit auf diese verlogenen Informa-tionen. Derartige Manipulation(en) zu verhindern, stellt ein eminentes intellektuelles und demokratiepolitisches Problem dar, da auch im Sinne der Medienkompetenz davon ausge-gangen werden kann, dass eben keine flächendeckende Fä-higkeit zur Medienkritik  in den Bevölkerungen existiert und sie so buchstäblich manipulierbar gehalten werden. Sobald je-mand einen Vorteil aus der Verbreitung von Unwahrheiten ziehen kann, werden Wege gefunden, diese auch durchzufüh-ren. Dadurch werden ein wachsames Auge und die kritische Betrachtung der Berichterstattung unerlässlich. Die großen Manipulator*innen der Geschichte waren immer auch für immenses Leid und die unmenschlichen Grauen einer Unzahl von Kriegen verantwortlich. Ohne gezielte Propaganda, Manipulation und Fake News  wäre etwa der Aufstieg des Nationalsozialismus nicht mög-lich gewesen. Ein wieder entdecktes Archivdokument legt – um hier noch ein abschließendes Beispiel zu bringen – nahe, dass der Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 nicht von ei-nem niederländischen Anarchisten, sondern von der SA ge-legt wurde: „Später, so erklärt der SA-Mann in seiner Versicherung,  deren beglaubigte Abschrift der Deutschen Presse-Agentur 


 ZUKUNFT | 19  vorliegt, hätten er und seine Kameraden gegen die Verhaf-tung van der Lubbes protestiert. ,Weil nach unserer Überzeu-gung van der Lubbe unmöglich der Brandstifter gewesen sein konnte, da ja nach unseren Feststellungen der Reichstag schon in Brand gesetzt sein musste, als wir van der Lubbe dort ab-lieferten.’“  30 Selbst Donald Trump verwendete gezielte Manipulation,  um seine politischen Ziele zu verwirklichen. Allein über die gezielten Falschinformationen, welche vom fünfundvierzigsten US-Präsidenten verbreitet wurden, ließe sich ein weiterer Arti-kel verfassen, vielleicht sogar ein ganzes Buch füllen … 1  Baudrillard, Jean (1995): Simulacra and Simulation, Ann Arbor: Uni- versity of Michigan Press. 2  Bernays, Edward (2009): Propaganda. Die Kunst der Public Rela- tions, Freiburg im Breisgau: orange press, online unter: https://tiny-url.com/cirp66la (letzter Zugriff: 01.02.2021). 3  Wells H. G. (1974): Der Krieg der Welten, Zürich: Diogenes. 4  Radio Listeners in Panic, Taking War Drama as Fact, in: The New  York Times 31.10.1938, 1, online unter: https://tinyurl.com/3ljjq9gs (letzter Zugriff 01.02.2021). 5 Ebd.6  Walker, David Pat (2011): The BBC in Scotland: The First Fifty Ye- ars, Cornwall: MPG Books, 11. 7  Welles, Orson/Kim Pete (1992): This is Orson Welles, Audio Casset- te, New York: Harperaudio, Band 4a 6:25–6:42. 8  King, R. R. (2013): Invasion Panic this Week. Martians coming  next, in: Radio Recall vom April 2013, online unter: https://tinyurl.com/1x3oyos6 (letzter Zugriff: 01.02.2021). 9  Brinkley, Alan (2009): The Unfinished Nation: A Concise History of  the American People, New York: McGraw-Hill, 615. 10  Vgl. Anmerkung 4, 4.11  Vgl. Anmerkung 4, 4.12  Schwartz, A. Brad/Runette, Sean (2015): Broadcast Hysteria: Orson  Welles’s War of the Worlds and the Art of Fake News, Prince Fre-derick: Highbridge Co, 161. 13  Debord Guy (1996): Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin: Edition  Tiamat. 14  Deutscher Fachjournalistenverband (Hg.) (2017): Journalistische  Genres, Köln: Herbert von Halem Verlag, 153–166. 15  Uziel, Daniel (2008): The Propaganda Warriors: The “Wehrmacht”  and the Consolidation of the German Home Front, Pieterlen/Bern: Peter Lang, 87f. 16  Schiegl, Florian (2009): Embedded Journalism – Kriegsberichterstat- tung unter Aufsicht, München/Ravensburg: GRIN Verlag, 5. 17  Schwarte, Kristina I. (2007): Embedded Journalists: Kriegsberichter- stattung im Wandel, Münster: Westfälisches Dampf boot, 38 und 88. 18  Jaramillo, Deborah Lynn (2009): Ugly War, Pretty Package: How  CNN and Fox News Made the Invasion of Iraq High Concept, Bloo-mington: Indiana University Press, 118. 19  Sterling, Christopher H. (2009): Encyclopedia of Journalism, New  York: Sage, 385. 20  Kopple, Barbara/Peck, Cecilia (2006): Shut up and sing, Dokumenta- tion, USA: Cabin Creek Films. 21  APA-Meldung (2019): „Sea-Watch 3“ sucht Hafen für 52 gerettete  Migranten, in: Tiroler Tageszeitung vom 13.06.2019: online unter: https://tinyurl.com/11z6643j (letzter Zugriff: 01.02.2021). 22  Online-Artikel (2019): Zehn Migranten dürfen „Sea-Watch 3“ verlas- sen, in: Deutsche Welle vom 15.06.2019. Online unter: https://tiny-url.com/3qgdreqq (letzter Zugriff: 01.02.2021). 23 Ebd. 24  APA-Meldung (2019): Sea-Watch verklagt Salvini wegen Rufschädi- gung, online unter: https://tinyurl.com/2xopmsn9 (letzter Zugriff: 01.02.2021). 25  Online-Artikel (2019): Kapitänin verhaftet, Schiff beschlagnahmt, in:  ORF vom 29.06.2019, online unter: https://orf.at/stories/3128506/ (letzter Zugriff: 01.02.2021). 26 Ebd.27  Online-Artikel (2019): Le Ong: ‘Se necessario agiremo ancora come  Sea Watch’, online unter: https://tinyurl.com/gjw12iqr (letzter Zu-griff: 01.02.2021). 28  Online-Artikel (2019): Carola Rackete: Zeigt sie hier den „römischen  Gruß“? Online unter: https://tinyurl.com/1xkpkgfx (letzter Zugriff: 01.02.2021). 29  Gary, Michael (1998): Drug Crazy: How We Got Into this Mess and  How We Can Get Out, Abingdon: Routledge, 4.  30  Online Artikel (2019d): Erklärung von SA-Mann erschüttert Ein- zeltäterthese zum Reichstagsbrand, online unter: https://tinyurl.com/4bkw5a6d (letzter Zugriff: 01.02.2021) RENE WINDEGGER  ist als Gemeinderat in der Steiermark aktiv und war lange Zeit als  Softwareentwickler im Bankensektor tätig. Dieser Beitrag erschien erstmalig in MEDIENIMPULSE 3/2019 und kann  in dieser älteren Version hier heruntergeladen werden:   https://tinyurl.com/18rifzio.


 20 | ZUKUNFT  Weitere Literatur:APA-Meldung (2019a): „Sea-Watch 3“ sucht Hafen für 52 gerettete Mig- ranten, in: Tiroler Tageszeitung vom 13.06.2019: online unter: https://tinyurl.com/11z6643j (letzter Zugriff 01.02.2021). APA-Meldung (2019b): Sea-Watch verklagt Salvini wegen Rufschädi- gung, online unter: https://tinyurl.com/2xopmsn9 (letzter Zugriff 01.02.2021). Brinkley, Alan (2009): The Unfinished Nation: A Concise History of the  American People, New York: McGraw-Hill. Deutscher Fachjournalistenverband (Hg.) (2017): Journalistische Genres,  Köln: Herbert von Halem Verlag. Gary, Michael (1998): Drug Crazy: How We Got Into this Mess and How  We Can Get Out, Abingdon: Routledge. Jaramillo, Deborah Lynn (2009): Ugly War, Pretty Package: How CNN  and Fox News Made the Invasion of Iraq High Concept, Blooming-ton: Indiana University Press, 118. King, R. R. (2013): Invasion Panic this Week. Martians coming next,  in: Radio Recall vom April 2013, online unter: https://tinyurl.com/1x3oyos6 (letzter Zugriff 01.02.2021). Online-Artikel (2019): Zehn Migranten dürfen „Sea-Watch 3“ verlassen,  in: Deutsche Welle vom 15.06.2019. Online unter: https://tinyurl.com/3qgdreqq (letzter Zugriff 01.02.2021). Online-Artikel (2019a): Kapitänin verhaftet, Schiff beschlagnahmt, in:  ORF vom 29.06.2019, online unter: https://orf.at/stories/3128506/ (letzter Zugriff 01.02.2021). Online-Artikel (2019b): Le Ong: ‘Se necessario agiremo ancora come Sea  Watch’, online unter: https://tinyurl.com/gjw12iqr (letzter Zugriff 01.02.2021). Online-Artikel (2019c): Carola Rackete: Zeigt sie hier den „römischen  Gruß“? Online unter: https://tinyurl.com/1xkpkgfx (letzter Zugriff 01.02.2021). Online-Artikel (2019d): Erklärung von SA-Mann erschüttert Ein- zeltäterthese zum Reichstagsbrand, online unter: https://tinyurl.com/4bkw5a6d (letzter Zugriff 01.02.2021). Radio Listeners in Panic, Taking War Drama as Fact, in: The New York  Times 31.10.1938. Online unter: https://tinyurl.com/3ljjq9gs (letzter Zugriff 01.02.2021). Schiegl, Florian (2009): Embedded Journalism – Kriegsberichterstattung  unter Aufsicht, München/Ravensburg: GRIN Verlag. Schwarte, Kristina I. (2007): Embedded Journalists: Kriegsberichterstat- tung im Wandel, Münster: Westfälisches Dampf boot. Sterling, Christopher H. (2009): Encyclopedia of Journalism, New York:  Sage. Uziel, Daniel (2008): The Propaganda Warriors: The “Wehrmacht” and  the Consolidation of the German Home Front, Pieterlen/Bern: Peter Lang, 87f. Walker, David Pat (2011): The BBC in Scotland: The First Fifty Years,  Cornwall: MPG Books. Welles, Orson/Kim Pete (1992): This is Orson Welles, Audio Cassette,  New York: Harperaudio. MEDIENMANIPULATION IM ZEITALTER IHRER TECHNISCHEN REPRODUZIERBARKEIT  VON RENE WINDEGGER


 ZUKUNFT | 21  PATRICK AUSSERDORFER MANNSWÖRTH (2020) Surroundings© Patrick Ausserdorfer


 22 | ZUKUNFT  IDENTITÄTSKONSTRUKTION IN DER  HARLEM RENAISSANCE  VON JULIAN J. ERNESTO KROYER I.  WAS IST DIE HARLEM RENAISSANCE? The Great Migration brachte ab dem Beginn des 20. Jahr- hunderts Millionen schwarze Menschen vom Süden der USA in die urbanen Zentren des Nordens, eine Vielfalt aus kulturel-len Geschmäckern und unterschiedlichen künstlerischen Fä-higkeiten traf in Ballungszentren der Vereinigten Staaten von Amerika aufeinander. Harlem (seit 1873 ein Stadtteil von New York) war aufgrund der geringeren Wohnkosten primäres Zu-zugsgebiet für Menschen aus dem Süden mit wenig ökono-mischen Mitteln. Die prekäre Arbeit und das Nachtleben wa-ren für viele eine Reizüberflutung wie Wallace Thurman in seiner Kurzgeschichte Cordelia, the Crude 1   (1926)  skizziert.  Er schreibt hier über seine gesammelten Erfahrungen in der Nachtszene von Harlem und über seine Begegnung mit der 16-jährigen Cordelia, welche Anfang der 1920er-Jahre aus dem Süden nach New York kam und mit ihrer neuen Lebensreali-tät als junge schwarze Frau in einer Großstadt konfrontiert war. Er schildert den New Yorker Stadtteil in seinen diversen kultu-rellen Facetten, die es ermöglichten, ein subjektives Gefühl der partiellen Abgrenzung von Repression zu erzeugen. So wur-de mit Harlem ein Raum geschaffen, der es den schwarzen Menschen seinerzeit ermöglichte, ihre Erfahrung, Lebensreali-tät und besonders ihre Kreativität zu artikulieren, sie zu visua-lisieren und sich musikalisch zu verwirklichen. Zu jener Zeit erlangten einige Persönlichkeiten hohe Po- pularität, welche die öffentliche Repräsentation von schwar-zen Menschen in den unterschiedlichsten Bereichen prägten. Zu den Einflussreichsten zählten unter anderem Louis Arm-strong (Jazz), Langston Hughes (Schriftsteller), Zora Nea-le Hurston (Schriftstellerin), Alain Locke (Philosoph), W. E. B. Dubois (Philosoph), Josephine Baker (Schauspielerin und Tänzerin), Duke Ellington (Jazzmusiker), Marcus Gar-vey (Philosoph) und Bessie Smith (Bluesmusikerin). Man  fasste die schwarze Kunstszene in den 1920er-Jahren unter der Bezeichnung Harlem Renaissance (angelehnt an die Irish  Renaissance) oder New Negro Renaissance (Alain Locke) zusam-men. Die Harlem Renaissance eröffnete neue diskursive Räu-me für die Produktion und Veröffentlichung von Kunst, Ge-danken und Erfahrungen, die authentic blackness war dabei stets ein essenzielles Element, um Stereotype der damaligen Zeit abzubauen. 2   Eben diesen hegemonialen Rahmen versuchten unter an- derem Alain Locke und Marcus Garvey zu überwinden, um eine emanzipierte und unabhängige Identität zu etablieren. In den folgenden zwei Kapiteln werde ich die jeweiligen As-pekte der Identitätskonstruktion von Alain Locke und Marcus Garvey und ihrem Zusammenhang mit dem hegemonialen Gleichgewicht mit Hilfe der beiden Werke The New Negro: An Interpretation (Alain Locke) und Philosophy and Opinions of Mar-cus Garvey Volume. I & II (Marcus Garvey und Amy Jacques-Garvey) untersuchen. II.  IDENTITÄTSBILDUNG BEI ALAIN LOCKE Alain Locke war fasziniert von der aufblühenden Kunst-  Musik- und Literaturszene der jungen schwarzen Kulturschaf-fenden in New York, er untersuchte deren Ursprünge, ver-suchte ihre Kunst zu interpretieren und verlieh ihnen eine wissenschaftliche Basis. Er betrachtete Künstler*innen als die neue Generation, die aus dem ihrem und dem Leid ihrer Vor-fahren Inspiration „schöpften“. „The have outlived the particular generation and the pe- culiar conditions which produced them; they have survived in turn the contempt of the slave owners, the conventionali-zations of formal religion, the repressions of Puritanism, the  Identitätskonstruktion in  der Harlem Renaissance Der Beitrag von  JULIAN J. ERNESTO KROYER  untersucht im Blick auf Alain Locke und Marcus Garvey die Aktualität  der  Harlem Renaissance und bezieht sie auf hegemoniale Kontexte ...


 ZUKUNFT | 23  corruptions of sentimental balladry, and the neglect and dis-dain of second-generation respectability.“ 3 Die Künstler*innen der Harlem Renaissance sind so die Kin- der des Schmerzes der vergangenen Jahrhunderte, ihre Kunst wird durch ihre Unterdrückungserfahrungen innerhalb die-ser Gesellschaftsverhältnisse konstruiert und kontrastiert deren Repressionsmechanismen. Das künstlerische Produkt dient so der Artikulation von Widerstand. „But what Negro artist of today has most to gain from  the arts of the forefathers is perhaps not cultural inspiration or technical innovations, but the lesson of a classical background, the lesson of discipline, of style, of technical control pushed to the limits of technical mastery.“ 4   Alain Locke unterstreicht in seinem Kapitel The Legacy of  the Ancestral Arts die dominierende Position der Musik und Ly-rik in den 1920er-Jahren, nichtsdestotrotz verweist er ebenso auf die Bildhauerei und die Maler*innen (William Edouard Scott und Henry Ossawa Tanner). Er charakterisiert klassi-sche Afrikanische Kunst als starr, kontrolliert, diszipliniert, ab-strakt, konventionalisiert und ästhetisch, während er die der schwarzen New Yorker als frei, lebendig, emotional, sen-timental und menschlich deutet. Er versteht ihre Werke als Weiterentwicklung des Realismus, dem eine Ästhetik afrika-nischen Ursprunges zugrunde liegt, sie bringen ihre Erfah-rungen (anhand der Geschichten der schwarzen Bevölkerung) und Wut, welche Resultat der repressiven Machtverhältnisse war, zum Ausdruck. Diese Vorstellungen ähneln einer herme-neutischen Identitätskonstruktion, deren Unterbau mit Ein-flüssen älterer Kulturen ausgestattet ist und deren Überbau ge-genwärtige Repressionen emanzipiert überleben kann: „But fundamentally for the present the Negro is radical on  race matters, conservative on others, in other words, a ‘forced radical,’ a social protestant rather than a genuine radical.“ 5   Locke war der Überzeugung, dass die Unterdrückung den  Unterdrückenden selbst vor Augen geführt werden muss, bis der hegemoniale Raum an seine Grenzen getrieben wird, um letzten Endes eben nicht radikal mit dem System zu brechen, sondern einen Kompromiss mit der hegemonialen Klasse ein-zugehen. Dadurch sollte eine Gleichstellung innerhalb der ge-genwärtigen Gesellschaftsform errungen werden. Er sah die Kultur als Instrument, um eine Auseinandersetzung der Zivil-gesellschaft mit progressiven Gesellschaftsthemen zu forcieren.  Aufgrund des monokulturellen Bildungskonzeptes 6  der  Vereinigten Staaten von Amerika, war der Einfluss der New Negro Renaissance innerhalb der Zivilgesellschaft nicht breiten-wirksam spürbar. III.  IDENTITÄTSBILDUNG BEI MARCUS GARVEY Die Texte in Philosophy and Opinions of Marcus Garvey sind  im Vergleich zu Alain Lockes Vorstellungen zu Identität we-niger detailliert, jedoch deutlich klarer im Ziel. Denn Garvey sieht die Schwarzen weltweit als unterdrücktes Volk und sieht im Aufbau eines eigenen Staatengebildes in Afrika die Lösung ihrer Probleme. Ähnlich wie Locke hat er die Absicht einer kulturellen Emanzipation, welche im Kontrast zu der hege-monialen Vormachtstellung der USA steht (in weiterer Folge soll diese Emanzipation global erfolgen): „We need improvement in every line-socially, religiously,  industrially, educationally and politically. We need the creati-on of a common standard among ourselves that will fit us for companionship and equitable competition with others.“ 7 Dies bringt Garvey mit folgender Einsicht auf den  Punkt:„A race without authority and power, is a race without respect.“ 8  Die Emanzipation kann in seinen Augen nur durch  die Gründung eines souveränen Staates, beziehungsweise ei-nes miteinander rivalisierenden, kapitalistisch-organisierten Staatengebilde erreicht werden, da die kulturellen Kluften in-nerhalb der gegenwärtigen Zivilgesellschaft zu groß sind. Die-se Thesen setzt Garvey stets auch in einen globalen und somit postkolonialen Kontext, in dem Afrika die zentrale Rolle sei-nes Narrativs einnimmt. „We declare to the world that Africa must be free, that  the entire Negro race must be emancipated from industrial bondage, peonage and serfdom; we make no compromise, we make no apology in this our declaration.“ 9 In diesem Zusammenhang ist Marcus Garveys Vorstel- lung von Identität im Verhältnis zum hegemonialen Gleich-gewicht der Vereinigten Staaten der 1920er-Jahre essenziell. Ohne auf die politische und ökonomische Gesamtsituation der  USA einzugehen, kristallisiert sich in Garveys Schriften heraus, dass er eine äußerst radikale Position einnimmt und mit seinen Forderungen keine Kompromisse eingehen will. Daher fordert er einen Bruch mit den bestehenden Gesell-schaftsverhältnissen, da sich seine Wertvorstellungen darin 


 24 | ZUKUNFT  IDENTITÄTSKONSTRUKTION IN DER  HARLEM RENAISSANCE  VON JULIAN J. ERNESTO KROYER nicht emanzipieren könnten. Diese Vorgangsweise steht im deutlichen Kontrast zu Alain Lockes Handlungsweisen, der durch progressive Gesellschaftsforderungen seine Wertvor-stellungen in den hegemonialen Konsens 10  der Zivilgesellschaft  zu integrieren versucht. IV. CONCLUSIO Dieser Text dient der Skizzierung unterschiedlicher Hand- lungsweisen, die im hegemonialen Kontext die Möglichkeiten eruieren, wie die Disziplinierungsmechanismen 11  der herrschen- den Klasse ausgehebelt werden könnten. Ebenso kann damit hervorgehoben werden, dass die Kontrolle des hegemonialen Rahmens ein wesentlicher Bestandteil von Macht ist, da die organischen Intellektuellen der unterdrückten Klasse nur inner-halb dieser Grenzen den Alltagsverstand und somit auch das so-ziale Handeln der Massen beeinflussen können. 1  Thurman, Wallace (1926): Cordelia, the Crude, in: The FIRE!!–Ma-gazine Volume 1/1, 5–6. 2  McKible, Adam und John, Jay (2016): Complexity and Hearing  Laughter in the Harlem Renaissance, in: Modernism 23/4, 897–904. 3  Locke, Alain (2015): The Negro Spirituals, in: Locke, Alain (Hg.): The New Negro: An Interpretation. Connecticut: Martino Publi-shing, 199. 4  Locke, Alain (2015): The Legacy of the Ancestral Arts, in: Locke, Alain (Hg.): The New Negro: An Interpretation. Connecticut: Mar-tino Publishing, 256. 5  Locke, Alain (2015): The New Negro, in: Locke, Alain (Hg.): The New Negro: An Interpretation. Connecticut: Martino Publishing, 11. 6  Perry, Robert/Melvin, Peters (1996): The African American Intel-lectual of the 1920s: Some Sociological Implications of the Harlem Renaissance, in: Ethnic Studies Review 19, 2/3, 155–172. 7  Garvey, Marcus (2014): World Materialism, in: Garvey, Marcus and Amy, Jacques Garvey (Hg.): Philosophy and Opinions of Marcus Garvey Volume 2. Connecticut: Martino Publishing, 15. 8  Garvey, Marcus (2014): Epigrams, in: Garvey, Marcus/Amy, Jacques Garvey (Hg.): Philosophy and Opinions of Marcus Garvey Volume 1. Connecticut: Martino Publishing, 2. 9  Garvey, Marcus (2014): The Future as I see it, in: Garvey, Marcus and Amy, Jacques Garvey (Hg.): Philosophy and Opinions of Marcus Garvey Volume 1, Connecticut: Martino Publishing, 73. 10  Gramsci, Antonio (1999): Gefängnishefte, 10 Bände, Hamburg: Ar- gument. 11  Weber, Max (2017): Die protestantische Ethik und der Geist des Ka- pitalismus, Stuttgart: Reclam. Literatur:Corbould, Clare (2007): Streets Sounds and Identity in Interwar Harlem,  in: Journal of Social History 40/1, 859–894. Garvey, Marcus/Amy, Jacques Garvey (Hg., 2014): Philosophy and Opi- nions of Marcus Garvey Volume 1 & 2, Connecticut: Martino Pub-lishing Gramsci, Antonio (1999): Gefängnishefte, 10 Bände, Hamburg: Argument.Locke, Alain (Hg.) (2015): The New Negro: An Interpretation, Connecti- cut: Martino Publishing McKible, Adam/John, Jay (2016): Complexity and Hearing Laughter in  the Harlem Renaissance, in: Modernism 23/4, 897–904. Thurman, Wallace (1926): Cordelia, the Crude, in: The FIRE!!-Magazine  1/1, 5–6. Perry, Robert/Melvin, Peters (1996): The African American Intellectual of  the 1920s: Some Sociological Implications of the Harlem Renaissance, in: Ethnic Studies Review 19, 2/3, 155–172. Philipson, Robert (2006): The Harlem Renaissance as Postcolonial Pheno- menon, in: African American Review 40/1, 145–160. Weber, Max (2017): Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalis- mus, Stuttgart: Reclam. JULIAN J. ERNESTO KROYER ist Student am Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien  und Angestellter.


 ZUKUNFT | 25  PATRICK AUSSERDORFER WIEN CITY GLASFRONT (2020) Surroundings© Patrick Ausserdorfer


 26 | ZUKUNFT  DONAUCITY (2020) Surroundings© Patrick Ausserdorfer


 ZUKUNFT | 27  PATRICK AUSSERDORFER


 28 | ZUKUNFT  VERSTEINERUNGEN UND REVOLUTIONÄR*INNEN  VON UWE SCHÜTTE Versteinerungen und  Revolutionär*innen Der Literaturwissenschaftler  UWE SCHÜTTE  rezensiert Axel Ruoffs bemerkenswerten zweiten Roman  Irrblock (2020)  und arbeitet die darin angelegten Bezüge zu Leben und Wirken von Rosa Luxemburg heraus – Eine Leseempfehlung. I.  Mit dem Roman Apatit debütierte der deutsche Filmema- cher und Schriftsteller Axel Ruoff im reifen Alter von 44 Jah-ren, sein 2015 im verdienstvollen Waldviertler Verlag Bibliothek der Provinz erschienenem Erzählwerk zeichnete sich jedoch durch eine literarische Reife aus, die dem durchschnittlichen Erstling in deutscher Sprache zumeist fehlt. So ungewöhn-lich wie die Qualität seiner detailgenauen, geradezu beschrei-bungssüchtigen Sprache war das Sujet von Ruoffs Erzählen: Handlungsort von Apatit  ist eine unbestimmte Wüstenregi-on, in die es ein Paar verschlagen hat, die signalhaft auf je-weils einen Buchstaben reduzierten Protagonisten „R“ und „S“. Lange Zeit bleibt unklar, warum es die beiden in diese merkwürdige Einöde verschlagen hat, in ein Land, das unter Kriegsrecht steht und wo sie in einem merkwürdigen Hotel mehr transitorische Zuflucht als Unterkunft gefunden haben. Was Ruoff in dem nach der Steinsorte Apatit betitelten Ro-man liefert, ist keine Handlung im gängigen Sinne, sondern eine erzählerische Versuchsanordnung. Oder besser gesagt: eine Parabel, die davon erzählt wie unerbittlich die Natur ge-gen den Menschen prozessiert. Organische Existenz gegen die sture Beharrlichkeit des Anorganischen; Begrenztheit des Le-bens gegen die Ewigkeit der Steine – das ist der von solchen Themen der Gegenwartsliteratur wie Identitätsdebatten, Be-findlichkeitsgedusel und Autobiografie denkbar weit entfernte Gegenstand dieses außergewöhnlichen Romans. II.  Sechs Jahre später nun ist unter dem Titel Irrblock erneut  ein prägnanter und auf Anorganisches verweisender Roman erschienen, in dem Ruoff seine erzählerische Meisterschaft unter Beweis stellt. Irrblöcke, das sind bekanntlich mächtige Gesteinstrümmer, die in der Eiszeit von den Gletschern in  der Landschaft deponiert wurden. Solch ein riesiger Findling ruht rätselhaft im Zentrum von Ruoffs Roman, denn dieser mächtige Gesteinskörper ist kein gewöhnlicher Granitblock. Vielmehr erscheint er als über und über mit merkwürdigen Flechten bewachsen, die sich aus unerklärlichen Gründen aus dem Gestein zu nähren scheinen. Der Irrblock lebt. Oder ist das lediglich eine Chimäre? Nur eine Projektion der verstör-ten Besucher, die sich nach dem Besuch eines ominösen anth-ropologischen, auf Kopfkulte spezialisierten Museums in den dunklen Schuppen verirren, wo er lagert? Die literarische Raffinesse des Romans liegt darin, dass die  Ungewissheit der Leser*innen über den Irrblock umso grö-ßer wird, je ausführlicher, je monomanischer um Genauig-keit bemüht, das zwischen anorganisch und organisch oszillie-rende Hybridgebilde von Ruoff beschrieben wird. Verbunden mit dem rätselhaften ontologischen Status des Irrblocks ist der Umstand, dass dieser beständig seine Form verändert. Mal wird er für ein blutiges Götzenbild, dann für ein Revoluti-onsdenkmal gehalten. Bedeutung oszilliert. Es ist als erstes ein  AXEL RUOFF: IRRBLOCK ROMAN Weitra: Verlag Bibliothek der Provinz 374 Seiten | € 28,- ISBN: 978-3-99028-979-2. Erscheinungstermin: Dezember 2020


 ZUKUNFT | 29  Besucher des Museums, der hinter dem geil wildwuchern-den Flechtenbewuchs glaubt, den Kopf der deutschen Sparta-kistin Rosa Luxemburg zu erkennen, die im Jänner 1919 von rechtsradikalen Freikorps-Soldaten in Berlin ermordet wur-de. Steckt hinter dem Irrblock also die bizarre Wiederkehr ei-nes von einem Denkmal der Sozialistin stammenden Kopfes? Oder gibt es noch abenteuerlichere Erklärungen für die phy-siognomische Ähnlichkeit.  III.  Glaubt man zunächst noch, dass der Hilfsgärtner Her- mann Troll – dessen Sisyphusarbeit die Einhegung des wissen-schaftlich nicht zu erklärenden, beständig wechselnden Flech-tenwuchses ist – der Protagonist des Romans sei, so entpuppt sich die Figur der zur Symbolfigur für das Scheitern der deut-schen Revolution avancierte Luxemburg immer mehr als ei-gentliche Hauptfigur. Sie gewinnt eine immer stärkere Prä-senz im Roman, die von Ruoff mit Subtilität Schritt für Schritt freigelegt wird. So beginnt eines Tages die medial ver-anlagte Mutter von Troll in der enigmatischen Gestalt der Jäge-rin Gracchus zu sprechen, die – wie ihr gleichnamiger Geistes-bruder aus einem fragmentarischen Erzähltext Kafkas – untot an der Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits verharrt und sich zunehmend als Stimme von Rosa Luxemburg entpuppt. Axel Ruoff geht es mithin auch in seinem zweiten Werk nicht um ein realistisch verankertes Erzählen. Seine Expertise liegt vielmehr darin, faszinierende Erzählwelten zu erschaffen, die erkennbar im Hier und Jetzt verankert sind, dabei aber Ge-schichten zu erzählen wissen, die allegorisch ausgreifen und sich auf die Erkundung der Zwischenräume zwischen Fakt und Fiktion verstehen. Endete die in Apatit  erzählte, von vielerlei Gewalterfah- rungen gezeichnete Liebesgeschichte mit der wundersamen Versteinerung der Frau, so darf der Handlungsvektor Irrblock nun als Revers dieser Petrifikation aufgefasst werden, wird doch nun ein Stein auf unerklärliche Weise lebendig, um weibliche Gestalt anzunehmen. Indem Ruoff in seinem neu-en Roman die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhundert mit der eigenen Realität der Literatur verschränkt, gelingt es ihm, ei-nen originellen Prosatext zu liefern, wie man ihn in einer sol-chen Vielschichtigkeit nur selten noch zu lesen bekommt. Bestechend und ergreifend zu lesen, dabei strikt den neues-ten Erkenntnissen über ihre Ermordung gehorchend, wie die (un)tote Revolutionärin in der Sprachmaske der Jägerin Grac-chus davon berichtet, wie sie verhaftet, gefoltert und ermor- det wurde, um dann im Wasser des Landwehrkanals treibend, gleich der literarischen Gestalt Kafkas, darüber nachzusinnen, warum sie niemals erlöst wird, da sich ihre politische Utopie nicht erfüllt. Schrittweise nur schält sich in Ruoffs Roman heraus, dass  das bizarre Kopf-Museum, in dem der Irrblock lagert, in ei-nem ehemaligen Frauengefängnis Barnimstraße im Ostberli-ner Stadtteil Friedrichshain untergebracht ist. Luxemburg war dort 1907 und 1915/16 inhaftiert; wie viele andere Gegnerin-nen des Nationalsozialismus hätte sie dort vermutlich auf ihre Hinrichtung in Plötzensee gewartet, wäre sie nicht vorher schon von der Reaktion ermordet worden. In der Frauenhaft-anstalt wurde 1950 ein Gedenkraum mit einer Büste von ihr eingerichtet; zuvor unveröffentlichte Fotografien davon sind im Roman zu sehen. IV.  Die in Irrblock  abgebildete Kopf-Büste aber verschwand  1974 beim Abriss unter ungeklärten Umständen. Handelt es sich beim enigmatischen Irrblock also um die unheimliche Wiederkehr des Hauptes der Revolutionärin? Und wie ver-hält sich dies wiederum zum Umstand, dass das Kopf-Mu-seum mit seinen präparierten Menschenschädeln ein veritab-les Gruselkabinett der deutschen Kolonialgeschichte in Afrika darstellt? Es sind bei weitem nicht die einzigen Fragen, die Axel Ruoffs fulminantes Erzählwerk als reizvolle Denkrät-sel präsentiert. Gefordert sind nun die sich zahlreich zu wün-schenden Leser*innen, die diese literarische Herausforderung annehmen. UWE SCHÜTTE ist Reader in German an der Aston University, Birmingham. Zahl- reiche Buchveröffentlichungen zu W.G. Sebald, der österreichischen Ge- genwartsliteratur und der Musikgruppe Kraftwerk. Demnächst erscheint  The Cambridge Companion to Krautrock bei Cambridge University Press.


 30 | ZUKUNFT  RIESENRAD (2019) Surroundings© Patrick Ausserdorfer


 ZUKUNFT | 31  PATRICK AUSSERDORFER THE PULP (2013) Technical © Patrick Ausserdorfer


 32 | ZUKUNFT  ZWISCHEN JESUS UND MARX  VON CHRISTIAN KASERER I. EINLEITUNG Erzählt man Menschen, welche sich bisher nicht mit der  Thematik auseinandersetzten, zum ersten Mal vom großen Themenkomplex der betrieblichen Selbstverwaltung, so stößt man in den meisten Fällen auf ein hartnäckiges Vorurteil: „Al-les schön und gut, das funktioniert in der Praxis aber nur bei kleinen Initiativen, in großen Betrieben ist das unmöglich.“ Ein Urteil, das ich bei Präsentationen meines Buches vor Be-ginn oft gehört habe und ich muss gestehen: Nicht ganz un-ähnlich ging es auch mir selbst, als ich mich 2018 zum ersten Mal mit diesem Thema intensiver auseinandersetzte. Freilich, da gab es die großen geschichtlichen Beispiele, von besetzten Betrieben in Norditalien über die anfänglichen Betriebsbeset-zungen während der Oktoberrevolution bis hin zur jugosla-wischen Selbstverwaltung. Aber, so wandte auch ich ein, was ist davon geblieben, außer einer historischen Reminiszenz?  II.  BETRIEBLICHE SELBSTVERWALTUNG Taucht man jedoch tiefer in die Materie ein, so stößt man  nicht nur auf vergangene Beispiele, sondern auch auf aktu-elle und bemerkt recht schnell, dass dieses Thema umfang-reicher und die Spielarten der betrieblichen Demokratie po-lychromer sind, als man dies anfangs erwartet hatte. Freilich sind die kleinen Initiativen mit einem Dutzend von übermoti-vierten, basisdemokratisch organisierten Menschen, die selbst fast am Existenzminimum leben, nicht nur ein gängiges Kli-schee, sondern auch bittere Realität. Doch handelt es sich da-bei meist um kleine Initiativen im „Grätzl“, die sich vor Ort engagieren, genau deswegen bekannt sind und diesen weit-läufigen Allgemeinplatz zu bestätigen scheinen. Im Zuge der Recherchen stieß ich jedoch auch auf andere Umsetzungen: Wohnprojekte wie habiTAT, das über den ganzen deutschspra-chigen Raum verstreut ist oder Fabriken wie den Teeherstel- ler  Scop Ti in der Provence, welcher über drei Jahre besetzt wurde, um ihn vor der Schließung zu retten und der nun eine ganze Region mit neuen wirtschaftlichen Impulsen berei-chert. Ein weiteres Beispiel ist der feministische Versuch von MyRedLight, ein Bordell in die Selbstverwaltung zu führen, wodurch die Frauen nicht mehr Produktionsmittel von Ein-zelpersonen, zumeist Männern, sind. III.  AUF DEM WEG INS BASKENLAND Alle von mir über das Jahr 2019 hinweg im Zuge mei- ner Recherchen besuchten Betriebe waren auf ihre eigene Art beeindruckend, doch ein Betrieb ragte über alle anderen Versuche aufgrund seiner schier unglaublichen Größe hervor: Mondragón. Es handelt sich dabei um den siebtgrößten Indus-triebetrieb Spaniens mit insgesamt etwa 80.000 dafür arbei-tenden Menschen. Man erinnere sich – alles selbstverwaltet. Die Reise zu Mondragón führt in eine geschichtsschwangere Region – das Baskenland. Um den Betrieb zu verstehen, muss man auch die Region verstehen. Die Gründe für die Entste-hung des Betriebs reichen nämlich zurück in die Zeit des spa-nischen Bürgerkriegs, wovon das Baskenland mit Guernica – bis heute als Fanal bekannt – besonders hart getroffen wurde. Zwischen Jesus und  Marx CHRISTIAN KASERERS  Beitrag erzählt davon, wie ein kleiner und selbstverwalteter baskischer Industriebetrieb in 60  Jahren zum siebtgrößten Betrieb Spaniens wurde. Ein Lokalaugenschein in Mondragón … In Gernika© Christian Kaserer


 ZUKUNFT | 33  Tiefe Gräben hatte der Bürgerkrieg zwischen den riva- lisierenden Faschisten und den Republikanern aufgeschüt-tet, welche es – um unter Francos Herrschaft zumindest nicht noch beschwerter leben zu müssen – zuzuschütten galt. Im kleinen Ort Mondragón, auf baskisch Arrasate, entwickelte der von der katholischen Soziallehre stark beeinflusste Pries-ter Jose Maria Arizmendiarrieta die Idee, durch gemeinsa-me Arbeit und Bildung die Menschen wieder zusammenzu-bringen. Begonnen hatte alles 1956 mit ihm, fünf Ingenieuren und der Idee zu einer Genossenschaft. 60 Jahre später gehö-ren etwa 100 Teilgenossenschaften zum Konglomerat, Ten-denz steigend. IV.  IN MONDRAGÓN Beim Lokalaugenschein im von Bergen umfriedeten Ort  deutet auf den ersten Blick wenig darauf hin, dass hier, nicht einmal im Tal, sondern am Hang eines der umgebenden Ber-ge, das Hauptquartier einer global agierenden Genossenschaft liegen könnte. Passend zur Umgebung ist auch das Gebäu-de der Genossenschaft bescheiden gehalten. Zierten nicht Name und Logo der Kooperative ein Schild vor dem Eingang, möchte man glauben, es handle sich hierbei eher um ein klei-nes Bürogebäude. „Habla usted ingles?“, frage ich den Sicherheitsmann und  bereite mich darauf vor, mein schlechtes Spanisch, welches ich mir in den Monaten vor der Reise anzueignen begonnen hatte, hervorzukramen. „Un poquito“. Ein bisschen Englisch kann er, welch Glück! Es dauert nicht lange, bis uns – meine Begleiterin und mich – Ander Etxeberria, Presseverantwortli-cher von Mondragón, freudig begrüßt und durch das Gebäu-de führt. „Bevor wir mit den Fragen beginnen, sehen wir uns doch zuerst einen Film an, ja?“ Ein hauseigener Werbefilm also – weshalb nicht? Tatsächlich verfügt die Zentrale über ein eige-nes Kino und wie Ander erklärt, besuchen jährlich über 2000 Menschen die Genossenschaft. „Einzelpersonen und Gruppen aus allen Teilen der Welt kommen zu uns und fragen, wie wir das hier aufgebaut haben, was unsere Geschichte ist. Leute von Start-Ups aus Kalifornien ebenso wie Mitglieder europäischer Regierungen“, so Ander, bevor er den Film startet. Die 15 Minuten vergehen überraschend schnell und be- richten uns über den schon erwähnten Priester Jose Ma-ria Arizmendiarrieta und seinen Versuch, die Region zu be-frieden und wirtschaftlich erfolgreich zu machen. Begonnen wird mit dem Jahr 1941, als Arizmendiarrieta beschloss, sich  im Angesicht all der Zerstörung, die der spanische Bürger-krieg im Baskenland hinterlassen hatte, nicht nur für die Seel-sorge, sondern auch ganz praktisch zu engagieren. Bildung und Mitbestimmung sollten der Schlüssel dazu sein, die Re-gion erneut aufzubauen. Dazu brachte er vor allem Jugend-liche zusammen und organisierte mit ihnen Bildungs- und Freizeitprogramme. V.  VON DER GENOSSENSCHAFT In Mondragón gab es dazumal lediglich einen großen Be- trieb, welcher eine Schule angeschlossen hatte, die allerdings nur den Kindern der Arbeiter*innen offenstand. Der Priester wollte bewirken, dass die Schule für alle geöffnet und überdies die Arbeiter*innen ein gleichberechtigtes Mitspracherecht im Betrieb bekommen sollten. Letzteres blieb ohne Erfolg und so entschloss er sich im Jahr 1956, gemeinsam mit fünf Ingenieu-ren, den Betrieb Ulgor zu gründen. Ulgor unterschied sich deutlich vom klassischen Bild eines Industriebetriebs: Wer hier arbeitete, war zugleich auch Besitzer*in und konnte so-mit gleichberechtigt mitbestimmten, wohin der Betrieb sich entwickeln sollte. Eine Genossenschaft also. Ziel war es in ers-ter Linie nicht, Kapital zu akkumulieren, sondern Menschen ein Auskommen zu verschaffen und mit dem Gewinn soziale Projekte zu fördern. So wurde etwa eine Kreditanstalt eröff-net, welche die Gründung weiterer Genossenschaften ermög-lichen sollte, um in der Region die Wirtschaft anzukurbeln. Ein Projekt mit Erfolg. Die Teilgenossenschaften des Dach-verbands sind in ihren Tätigkeitsfeldern weit verstreut. Das reicht von Industriebetrieben wie etwa Maschinenbau über  Betriebsbesichtigung in Mondragón:Ander Etxeberria, Christian Kaserer und Samira Shady Sany (v. r. n. l.)© Christian Kaserer


 34 | ZUKUNFT  ZWISCHEN JESUS UND MARX  VON CHRISTIAN KASERER Banken hin zur Baubranche und Konsumgenossenschaften, also bis zum Einzelhandel. Insgesamt wurden 15 Innovations-zentren und eine eigene Universität für etwa 5000 Studieren-de gegründet.  Mondragón als Genossenschaftsverbund ist mit Stand 2019  die Arbeitsstätte von fast 80.000 Menschen in 31 Ländern auf fünf Kontinenten und funktioniert angeblich immer noch, trotz dieser enormen Größe, nach denselben Prinzipien, wel-che Arizmendiarrieta dereinst aufgestellt hatte. Eine beein-druckende Geschichte und während der Sichtung des Films vergaßen wir, einen hauseigenen Werbefilm zu sehen. Einige Fragen bleiben dabei unbeantwortet und Ander, als Profi auf seinem Gebiet, scheint sich darauf schon vorbereitet zu ha-ben. In seinem Büro angekommen öffnet er auf seinem Lap-top eine eigene Präsentation, die jeden Aspekt Mondragóns näher beleuchten und mir offenbar sämtliche Fragen beant-worten kann.  VI.  BRENNENDE FRAGEN UND VERNÜNFTIGE  ANTWORTEN Eine Frage lag mir dabei besonders am Herzen … Christian Kaserer: Wie kann ein solcher Betrieb, ange- sichts seiner enormen Größe, demokratisch bleiben? Ander Etxeberria: Mondragón ist nicht nur ein Betrieb,  sondern sozusagen ein Konglomerat, ein Zusammenschluss aus verschiedensten Genossenschaften. Sie alle halten sich al-lerdings, das ist die Bedingung, an unsere genossenschaftli-chen Grundsätze. Wer bei uns arbeitet, der ist auch Eigentü-mer und kann gleichberechtigt über die Abläufe im Betrieb mitbestimmen. Unsere Teilgenossenschaften sind vor allem in der Industrie zu verorten, aber nicht nur. Eine riesige Kon-sumgenossenschaft, also sozusagen ein Supermarkt, gehört auch dazu. Jene Betriebe, die Teil von Mondragón sind, wäh-len kollektiv. Vertreter*innen und diese kommen daraufhin in regelmäßigen Abständen zusammen und beschließen, wohin wir alle uns entwickeln sollen. Neben der Generalversamm-lung gibt es noch weitere entscheidende Organe, wie etwa den Sozialrat oder den Manager*innenrat. So stellen wir si-cher, dass wirklich alle Entscheidungen von möglichst vielen Blickwinkeln beleuchtet werden. Transparenz, Partizipation und das Gemeinwohl stehen dabei immer an oberster Stelle. Den einzelnen Teilbetrieben steht es überdies frei, Mondra-gón jederzeit zu verlassen und sich anders auszurichten. Christian Kaserer: Der erwähnte Manager*innenrat be- deutet also, dass es Manager*innen bei Mondragón gibt? Ander Etxeberria: Es gibt Menschen, die gewählt werden,  um ihre jeweiligen Genossenschaften zu vertreten und auf be-stimmte Zeit zu leiten. Man könnte das Manager*innen nen-nen, ja. Klar ist aber, dass sie rechenschaftspflichtig sind und abgewählt werden können. Hinzu kommt, dass sie maximal das Sechsfache der untersten Lohngruppe von Mondragón verdienen dürfen. Christian Kaserer: Und was passiert mit dem Gewinn? Ander Etxeberria: Die Gewinne werden, je nach Be- schluss, sozial investiert. Etwa in unsere Universitäten, die wir gegründet haben, damit Menschen – auch ohne mit uns ir-gendwas zu tun haben zu müssen – studieren können. Oder etwa in Kampagnen für die Umwelt bei den Konsumgenos-senschaften. Es muss jedenfalls der jeweiligen Region, in wel-cher der Betrieb lokalisiert ist, zugutekommen. Ein Teil wird natürlich angespart, damit die finanziell erfolgreicheren Be-triebe jenen, die aktuell Probleme haben, unter die Arme greifen können. Wir wollen nämlich niemanden bei uns ent-lassen und so wenige Betriebe wie möglich schließen. Wobei ich aber erwähnen will, dass es für uns, wenn sich über meh-rere Jahre hinweg keinerlei Besserung zeigt, ein Zeichen dafür ist, dass eine Genossenschaft, warum auch immer, nicht mehr lebensfähig ist. Wir schließen sie dann nötigenfalls und sorgen so gut es geht dafür, die Menschen in anderen Genossenschaf-ten unterzubringen. Und natürlich ist der Gewinn für die Arbeiter*innen, also die Mitglieder der Genossenschaft, da. Christian Kaserer: Aber wie wird man Mitglied der Ge- nossenschaft und wie verlässt man sie wieder? Ander Etxeberria: In der Regel beginnt man bei uns zu  arbeiten, ohne sofort Mitglied zu werden. Wir halten es für klug erst eine gewisse Zeit zu beobachten, ob die Person zu uns passt und ob wir zu der Person passen. Wenn alles gut geht, dann führen wir eben ein Gespräch und die Person kann sich entscheiden, Mitglied der Genossenschaft zu werden. Dazu zahlt man eine gewisse Summe in die Genossenschaft ein. Sozusagen als Anteil. Gerne auch in Raten, denn es sind in der Regel über 10.000 Euro. Damit ist man auch schon vol-les Mitglied und hat alle Rechte und Pflichten. Wenn Perso-nen sich dann dazu entschließen die Genossenschaft zu verlas-sen oder etwa in Rente gehen, dann erhalten sie ihren Anteil 


 ZUKUNFT | 35  wieder zurück, jedoch deutlich höher, da der Wert des jewei-ligen Anteils über die Jahre, entsprechend des Wachstums der Genossenschaft, gestiegen ist. In der Regel kommt da einiges zusammen. Und es kann auch passieren, dass wir – wenn eine Genossenschaft finanzielle Probleme hat – die Menschen frü-her in Rente schicken und ihnen so lange die Rente zahlen, bis der Staat das dann aufgrund ihres Alters übernimmt.“ Christian Kaserer: Ein ausgesprochen solidarisches Mo- dell, völlig ungewohnt in unserer undemokratischen Wirt-schaft, aber wie behauptet man sich so im Kapitalismus auf Dauer? Ander Etxeberria: Dadurch, dass wir alle gemeinsam be- schließen, was die nächsten Schritte sind, bündeln wir unser Wissen. Krisen wie etwa die letzte Finanzkrise haben wir so-mit deutlich besser überstanden als die meisten anderen Be-triebe in Spanien. Das solidarische Miteinander hilft uns da sehr.“ VII. EIN SOLIDARISCHER SCHLUSS Schöne Worte zum Abschluss. Ander, so gibt er mir zu  verstehen, ist sich bewusst, dass Mondragón immer noch im Kapitalismus existiert und somit auch an dessen immanente Logik gebunden ist. Dass Teilgenossenschaften bankrottgehen können verdeutlicht dies. Doch – und davon ist er überzeugt – diese von Priester Arizmendiarrieta ins Leben gerufene Mi-schung aus Karl Marx, Adam Smith und katholischer Sozial-lehre hilft dabei, bei Menschen das Bewusstsein für die Prob-leme der kapitalistischen Wirtschaftsweise herauszubilden und trägt so vielleicht eines Tages zu deren Überwindung bei. Das Buch coop – Selbstverwaltete Betriebe und ihre Auswirkun- gen auf Arbeit und Gesellschaft erschien 2020 im Linzer guerni-ca Verlag und entstand mit freundlicher Unterstützung durch die  RD Foundation Vienna, der Katholischen Sozialakademie    Österreichs  (ksoe)  und  weltumspannend arbeiten, dem entwick-lungspolitischen Verein im ÖGB. CHRISTIAN KASERER  studierte Germanistik in Salzburg und Wien. Seit 2015 arbeitet er als  Journalist und war zwei Jahre lang als Österreich-Korrespondent der  deutschen Tageszeitung  Junge Welt tätig. Er hat mehrere geschichts-  und literaturwissenschaftliche Arbeiten vorgelegt. CHRISTIAN KASERER COOP Linz: guernica 120 Seiten | € 9,90 ISBN: 978-3-9504594-8-7 Erscheinungstermin: 2020 Zu bestellen bei: office@guernica- verlag.at


 36 | ZUKUNFT  DC-WORLD (2019) Surroundings © Patrick Ausserdorfer


 ZUKUNFT | 37  PATRICK AUSSERDORFER TRAMTRAIL (2014) Surroundings © Patrick Ausserdorfer


 38 | ZUKUNFT  DER MYTHOS GRAMSCI  VON GERNOT TRAUSMUTH Der Mythos Gramsci Italien war das erste Land in Europa, in dem der Faschismus an die Macht kam. Eines seiner bekanntesten Opfer war  Antonio Gramsci.  GERNOT TRAUSMUTH  geht einer politisch mehr als wichtigen und aktuellen Frage nach: Welchen  Beitrag leistete Gramsci im Widerstand gegen den schwarzen Totalitarismus? I. EINLEITUNG Es war im Sommer 1921, als Antonio Gramsci eine ers- te Bilanz über die Welle der Gewalt zog, die damals seit Mo-naten in Italien bereits wütete. Innerhalb eines Jahres hatten die „Schwarzhemden“ rund 4000 Menschen auf dem Gewis-sen, sie wurden erschossen oder zu Tode geprügelt. 20.000 wurden durch Morddrohungen oder mittels regulärer Verfü-gungen staatlicher Behörden gezwungen ihre Heimat zu ver-lassen. 300 meist „rote“ Gemeindeverwaltungen, die in frei-en, demokratischen Wahlen gewählt worden waren, wurden zum Rücktritt gezwungen. Druckereien und Redaktionsstu-ben der linken Parteien wurden zerstört, unzählige Volkshäu-ser, Gewerkschafts- und Genossenschaftslokale wurden ge-plündert und niedergebrannt … II.  AUFSTIEG DES FASCHISMUS Diese einleitende Aufzählung liefert auch schon die we- sentliche Funktion des historischen Faschismus. Er sollte die organisierte Arbeiter*innenbewegung mit den Mitteln der Gewalt zerschlagen, die Arbeiterschaft atomisieren und die Fabrikarbeiter*innen wie auch die Landarbeiter*innen zu reinen Objekten der Ausbeutung degradieren. Der Faschis-mus entstand als Gegenreaktion auf die Massenstreiks, Fab-riks- und Landbesetzungen des Biennio rosso 1919–1920, in de-nen die italienische Arbeiterschaft ähnlich wie in Österreich und Deutschland wichtige soziale Errungenschaften wie den 8-Stunden-Tag durchzusetzen vermochte und nach Vorbild Sowjetrusslands im Staat an die Tore der Macht klopfte. Sym-bolhaft dafür steht ein Foto, das den Gramsci-Schüler Giovan-ni Parodi mit anderen FIAT-Arbeiter*innen am Schreibtisch von Konzernchef Agnelli sitzend zeigt. Gramsci selbst war Kopf und Stimme der Betriebsbeset- zungsbewegung. Seine Zeitung Ordine Nuovo (Neue Ord-nung) brachte die Ideen der russischen Arbeiterräte (Sowjets) nach Italien. Bis heute ist der von ihm verfasste Aufruf zum 1. Mai 1919 eine wunderbare Übersetzung der Marxschen Idee, wonach die Befreiung der Arbeiterklasse das Werk der Arbei-ter selbst sein müsse: „Bildet euch, denn wir brauchen all eure Klugheit. Be- wegt euch, denn wir brauchen eure ganze Begeisterung. Or-ganisiert euch, denn wir brauchen eure ganze Kraft.“ Italiens Unternehmer*innen und Großgrundbesitzer*innen  konnten diese Bewegung nicht dulden. Getrieben von der Er-kenntnis, dass im Rahmen der bürgerlichen Demokratie das Gespenst des Kommunismus nicht mehr zu stoppen war, grif-fen sie tief in die Tasche und finanzierten die faschistischen Banden. Ehemalige Offiziere und Kriegsveteranen, deklassier-te, von wirtschaftlichem Ruin bedrohte Kleinbürger*innen, Student*innen und Intellektuelle waren getrieben von der Idee, Italien endlich zu einer „großen Nation“ zu machen. Getrieben von nationalistischen und militaristischen Fantasien wollten sie Rom wieder zum Zentrum eines Imperiums ma-chen. Geführt wurden sie von dem ehemaligen Linkssozialis-ten Benito Mussolini, der den sozialistischen Internationalis-mus gegen den Nationalismus eingetauscht hatte. III.  GRAMSCIS POLITISCHE PRÄGUNG Inmitten der ersten faschistischen Gewaltwelle spaltete  sich auf ihrem Parteitag in Livorno die Sozialistische Partei (PSI). Unter dem Druck der revolutionären Massenbewegung 1919/1920 hat sich die Partei scharf nach links entwickelt, 


 ZUKUNFT | 39  doch in der Frage der konkreten Aufgaben herrschte Unei-nigkeit. Während eine kleine Minderheit an den Ideen ei-nes sozialreformerischen, parlamentarischen Weges festhielt, war die Mehrheit von den Ideen des Kommunismus über-zeugt. Gramsci gehörte eindeutig zu Letzteren. Schon als Student und Jungsozialist hatte er mit der Marx-Rezeption und der daraus fließenden Praxis der italienischen Sozialde-mokratie wenig anfangen können. Marx und Engels hatten den „Wissenschaftlichen Sozialismus“ als Philosophie der Pra-xis entwickeltet, in Italien wurde dieser jedoch im Einklang mit dem an den Universitäten dominierenden Positivismus auf eine Methode der empirischen Sozialforschung reduziert, die den Übergang zum Sozialismus als „historische Notwendig-keit“ verstand, die sich quasi gesetzmäßig durchsetzen würde. Dies erklärt auch Gramscis Begeisterung für den hegeli- anischen Philosophen Benedetto Croce und dessen Konzept eines „ethischen Prinzips“, das den Menschen dazu befähigt, den Gang der Geschichte zu beeinflussen. Gramsci gehör-te zu jener Generation von Sozialist*innen, die am Ende des Ersten Weltkriegs mit großem Enthusiasmus auf die Nach-richten vom Sieg der Russischen Revolution reagierten. Le-nin und die Bolschewiki hatten aus seiner Sicht eine „Re-volution gegen ‚Das Kapital‘“ gemacht. Seinem Verständnis nach habe Marx eine voll entwickelte kapitalistische Produk-tionsweise als Voraussetzung für eine sozialistische Revolution gesehen. In Russland, einem stark agrarisch geprägten, über weite Strecken de facto semi-feudalen Land, waren diese Be-dingungen nicht gegeben. Gramsci unterstützte im Gegen-satz zu großen Teilen der sozialdemokratischen Parteieliten in Westeuropa die Oktoberrevolution. Die Bolschewiki hätten Fakten geschaffen, die stärker waren als die Ideologie. Sie wä-ren die Vollstrecker der Ideen des deutschen und italienischen Idealismus. Später wurden diese Thesen herangezogen, um  Gramscis Fähigkeit zu eigenständigem Denken zu belegen. In Wahrheit liefert er hier eher einen Beweis dafür, dass er die Ideen von Marx und Engels in seinen Jugendjahren noch nicht umfassend studiert hatte. IV.  SPALTUNG DER ARBEITER*INNENBEWEGUNG Als die italienische Arbeiter*innenbewegung in Livorno  1921 an einer Weggabelung stand, gab es für Gramsci ange-sichts seiner Parteinahme für die Russische Revolution und seiner Erfahrungen mit der verheerenden Rolle der alten so-zialreformerischen Partei- und Gewerkschaftsführer im Bien-nio Rosso nur einen gangbaren Weg. Er sah die Notwendigkeit  sich an der Gründung der neuen Kommunistischen Partei von Italien (PCd’I) zu beteiligen. Rund ein Drittel der Mitglieder der Sozialistischen Partei wechselten ins kommunistische La-ger. Gramsci hatte lange auf eine politische Erneuerung des PSI gehofft, die sich quasi automatisch durch die Ausweitung der militanten Arbeiter*innenproteste einstellen würde. Diese Rechnung ging letztlich nicht auf. Diese relativ passiv-abwar-tende Haltung hat dazu geführt, dass Gramsci und die Ordi-ne Nuovo-Gruppe anfangs in der KP eher eine Randerschei-nung blieben. Die eigentliche Parteiführung war fest in der Hand von Amadeo Bordiga, der eine extrem linksradikale, sektiererische Linie verfolgte. Dazu gehörte eine prinzipielle Ablehnung, sich an parlamentarischen Wahlen zu beteiligen, sowie eine entschiedene Weigerung, mit der Sozialistischen Partei eine Einheitsfront oder auch nur gemeinsame Aktio-nen für bestimmte Ziele zu bilden. Sogar die Teilnahme an den antifaschistischen Milizen, den Arditi del Popolo, in denen Arbeiter*innen unterschiedlichster Weltanschauung Seite an Seite kämpften, wurde abgelehnt. Die Kommunistische In-ternationale unter Lenin kritisierte diesen Kurs vehement und versuchte durch geduldiges Erklären und Überzeugungsarbeit eine Korrektur dieser Politik zu erwirken. Gramsci war selbst angesichts der drohenden faschistischen Gefahr lange Zeit nicht bereit, mit dem Linksradikalismus Bordigas zu brechen. Erst als er vor dem schwarzen Terror selbst flüchten muss- te und längere Zeit in Sowjetrussland verbrachte, konnte er von der Idee einer Einheitsfront mit den Sozialist*innen über-zeugt werden. Mit Unterstützung der Kommunistischen In-ternationale kehrte er nach einem Aufenthalt in Wien nach Italien zurück und wurde 1924 an die Spitze der PCd’I ge-hievt, obwohl er keine demokratische Mehrheit hinter sich hatte. Nur dank bürokratischer Manöver gelang es ihm, seine Führungsrolle zu verteidigen. V. ANTIFASCHISMUS Der Kampf gegen den Faschismus stand nun ganz oben  auf der Prioritätenliste. Doch Gramscis Politik zeichnete sich in dieser Phase durch einen erratischen Zick-Zack-Kurs aus: Einmal positionierte er die KP in einem Bündnis mit allen an-deren demokratischen (auch bürgerlichen) Parteien und un-terstützte deren Appell an den König, er möge den Faschismus per Notstandsgesetzgebung stoppen; dann setzte er wieder auf den Aufbau von eigenen kommunistischen Gewerkschafts-strukturen in Konkurrenz zu den traditionell sozialistisch aus-gerichteten Verbänden der Fabrik- und Landarbeiter*innen. 


 40 | ZUKUNFT  DER MYTHOS GRAMSCI  VON GERNOT TRAUSMUTH Die ganze Verwirrung gipfelte in der hybriden Losung nach einer „Republikanischen Versammlung gestützt auf Arbeiter- und Bauernkomitees“, wo also eine Art bürgerliches (Gegen-)Parlament neben Institutionen einer Rätedemokratie existie-ren sollten. Diese Position erinnert stark an die Vorstellungen des Austromarxisten Max Adler von der Beziehung zwischen Parlament und Rätebewegung in der Frühphase der Ersten Republik. Im Zuge der politischen Krise nach dem Mord an dem  sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti durch Mus-solinis Schergen konsolidiert der Faschismus seine totalitäre Macht. Alle Reste einer bürgerlichen Demokratie werden be-seitigt, jede politische Opposition wird brutal verfolgt. 1926 wird auch Gramsci verhaftet und in der Folge zu einer lang-jährigen Kerkerstrafe verurteilt. Angesichts seines ohnedies prekären Gesundheitszustandes kam dieses Urteil de facto ei-nem Todesurteil gleich. Der Staatsanwalt begründete das Ur-teil mit den Worten: „Wir müssen für zwanzig Jahre verhin-dern, dass dieses Hirn funktioniert.“ Doch auch unter den erschwerten Bedingungen des Ker- kers arbeitete das Hirn weiter. Das Ergebnis seiner intellektu-ellen Arbeit im Gefängnis sind unzählige Übersetzungen, wis-senschaftliche Studien und Notizen zu Fragen marxistischer Theorie. Geschrieben unter den Bedingungen der faschisti-schen Zensur verschlüsselte Gramsci viele Aussagen und las-sen gerade die politisch-theoretischen Texte aus dieser Zeit viel Spielraum für Interpretation offen. VI. HEGEMONIE Herzstück dieser als „Gefängnishefte“ bekannten Arbei- ten ist Gramscis Auseinandersetzung mit der sogenannten He-gemonietheorie, die bis heute in der Linken breit rezipiert wird. Gramscis Überlegungen kreisen dabei um die Frage, welche Rolle die Arbeiterklasse und speziell die Kommunisti-sche Partei im antifaschistischen Widerstand zu erfüllen habe. Er knüpft dabei an Debatten aus der frühen russischen Sozial-demokratie ab den 1880er-Jahren an. Dort wurde der Hege-moniebegriff dazu herangezogen, um das Verhältnis zwischen Arbeiter*innenbewegung und Bauernschaft im Kampf gegen die zaristische Autokratie zu bestimmen. Am weitesten ent-wickelt hatte Lenin diese Strategiedebatte. Er war zur Einsicht gekommen, dass das russische Bürgertum aufgrund seiner en-gen Verbindungen zum Großgrundbesitz und zum Regime nicht fähig sein würde, die Aufgaben der bürgerlichen Revo-lution (Durchsetzung von Bürgerrechten und demokratischen Verhältnissen, Landreform, nationale Frage) zu lösen, und sich daher die Arbeiterklasse in einem Bündnis mit der Bauern-schaft an die Spitze der Nation stellen müsse. Ähnlich sah dies Gramsci in Hinblick auf eine kommende antifaschistische Re-volution in Italien.   Diese Frage war aus seiner Sicht umso bedeutender, da  er die neuerliche taktische Wende seiner Partei für fatal hielt. 1929 setzte sich in den Kommunistischen Parteien die „Sozi-alfaschismustheorie“ durch, wonach die Sozialdemokratie als Zwilling des Faschismus bezeichnet wurde. Die daraus flie-ßende Taktik war eine Rückkehr in die alten linksradikalen Muster. Ein gemeinsamer Widerstand gegen den Faschismus war dadurch ausgeschlossen. In Deutschland sollte die dadurch resultierende Spaltung der Arbeiter*innenbewegung ganz we-sentlich der Machtergreifung des Nationalsozialismus in die  ANTONIO GRAMSCI  GEFÄNGNSIHEFTE Hamburg: Argument 3184 Seiten | € 120,- ISBN 978-3-86754-100-8 Erscheinungstermin: März 2019 Antonio Gramsci im Jahr 1933© Wikimedia Commons (author: Fogelstrom)


 ZUKUNFT | 41  Hände spielen. Gramsci, der ursprünglich den Kurs der Sta-lin-Fraktion in der Sowjetunion weitgehend unterstützt hatte, kritisierte offen diese ultralinke Wende und wurde daraufhin von der eigenen Partei fallengelassen. Er wurde im Gefängnis isoliert, war nicht mehr in die parteiinternen Debatten einge-bunden und es wurden auch keine Versuche mehr unternom-men, ihn freizubekommen. Gramsci betonte die Notwendigkeit demokratischer For- derungen im Kampf gegen den Faschismus. Er ging davon aus, dass nach Jahren der Verfolgung die Kommunistische Par-tei zu schwach sein würde, um direkt eine Diktatur des Prole-tariats zu errichten und Italien nach dem Sturz des Mussolini-Regimes eine bürgerlich-demokratische Phase durchmachen würde. Diese Analyse gipfelte in der Losung nach einer „Ver-fassungsgebenden Versammlung“, in deren Rahmen die Ar-beiterklasse die anderen unterdrückten Teile der Nation rund um sich scharen und eine „Hegemonie“ für eine Perspekti-ve zur revolutionären Überwindung des Kapitalismus entwi-ckeln müsse. VII. RECHTFERTIGUNGSIDEOLOGIE Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade diejenigen  an der Spitze der Kommunistischen Partei, die mit Grams-ci aufgrund dieser Ideen gebrochen hatten, nach dem Zwei-ten Weltkrieg seine Texte zur Hegemonietheorie heranzogen, um damit ihre neuerliche Kurskorrektur zu legitimieren. Die Kommunistische Partei hatte auf Befehl Moskaus eine revo-lutionäre Perspektive aufgegeben und beschränkte sich in der letztlich siegreichen Resistenza, dem massenhaften Wider-stand gegen Mussolini und Hitler, auf die Wiederherstellung einer parlamentarischen Demokratie. Gramscis Texte wur-den nun aus dem Kontext gerissen und in das eigene Sche-ma eingepasst. Entscheidender Ansatzpunkt dazu waren Gramscis Aus- führungen über die Hegemonie im Sinne der bürgerlichen Herrschaft im Westen. Er stellte die Hypothese auf, dass an-ders als in Russland in Westeuropa das Bürgertum nicht rein über den staatlichen Zwangs- und Repressionsappa-rat herrscht, sondern vielmehr über eine Vielzahl von Insti-tutionen (Schule, Universität, Massenmedien, Gewerkschaf-ten usw.) eine politisch-kulturelle Hegemonie ausübe. Dies führe dazu, dass auch die subalternen Klassen die herrschen-de Ordnung akzeptieren würden. Gramsci wurde nach dem Krieg zusehends so ausgelegt, als hätte er mit der Idee einer  sozialistischen Revolution nach dem Vorbild der Bolschewi-ki gebrochen und die Notwendigkeit des Aufbaus einer kul-turellen Gegenhegemonie erkannt. Damit rechtfertigte die Kommunistische Partei ihre Politik der schrittweisen Erobe-rung von Stellungen in der bürgerlichen Demokratie durch linke Kommunalpolitik, parlamentarische Arbeit, Kultur- und Bildungstätigkeit und die Herstellung von Bündnissen in der „Zivilgesellschaft“. VIII. SCHLUSS Gramscis Ansätze einer Hegemonietheorie wurden in den  kommenden Jahrzehnten nicht nur von der KP Italiens, son-dern auch von der akademischen Linken generell immer mehr zur theoretischen Rechtfertigung einer reformistischen Praxis herangezogen. Seinen tatsächlichen Absichten werden diese Interpretationen in keiner Weise gerecht. Gramsci selbst prägte einst den Spruch, dass nur die Wahrheit revolutionär ist. Eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Leben und Werk, die auch seine Fehler nicht ausblendet, würde dem großen In-tellektuellen der italienischen Arbeiter*innenbewegung, der posthum über die Jahrzehnte auch internationale Bedeutung erlangte, wohl am ehesten gerecht. GERNOT TRAUSMUTH  arbeitet im Kindergartenbereich, übersetzt und schreibt Bücher und  ist in der SPÖ Donaufeld aktiv


 42 | ZUKUNFT  MANNSWÖRTH II (2020)  Surroundings © Patrick Ausserdorfer


 ZUKUNFT | 43  PATRICK AUSSERDORFER


 44 | ZUKUNFT  LOB DER BRANDSTIFTERIN  VON THOMAS BALLHAUSEN 0. Synopsis & Vorbemerkung: Ein verdeckter Ermittler wird  für einen letzten Auftrag reaktiviert: Er soll die Brandstifte-rin, eine gefährlich gewordene Agentin, ausfindig machen und zur Strecke bringen. Angesiedelt in einer düsteren Zu-kunft, die mit unserer Gegenwart durchaus Ähnlichkeiten hat, macht sich der Ermittler auf, die Brandstifterin, mit der ihn auch eine romantische Vergangenheit verbindet, zu su-chen. Es entspinnt sich eine detektivische Geschichte, in der Jäger und Gejagte öfter die Rollen tauschen als ihnen lieb ist, in ihren Verkleidungen täuschen sie einander. Vor dem Hintergrund einer dystopischen, weitläufigen Kulisse entfal-ten sich die tragischen Schicksale Einzelner. Die Wirklich-keit, wie der Ermittler sie kennt, wird brüchig und doch lässt er sich immer mehr in die Angelegenheiten der Brandstifte-rin als auch des langsam zusammenbrechenden Staates ver-wickeln. Immer mehr muss er erkennen, welche Irrwege er beschritten hat und sich, so lange es noch möglich ist, neu entscheiden. Die Erzählung Lob der Brandstifterin, die in der Taschen- buchreihe  Textlicht  der Edition Atelier erschienen ist, wur-de wesentlich durch die Zusammenarbeit mit dem Künstler Jack Hauser beeinflusst. Ohne Jacks großzügige, inspirierende Unterstützung und die Beteiligung an seinem vielschichtigen Projekt zur Kunstfigur Miryam van Doren wäre meine Erzäh-lung schlicht nicht möglich gewesen. Ich bin ihm zu großen Dank verpflichtet, mich in sein Schattenreich der Verschwö-rungen, Geheimnisse und Referenzen eingeladen zu haben, um dort einen für mich passenden Platz finden zu können. (tb) 1. You seemed so sure That one day we’d be fighting In a suburban war Your part of town against mine I saw you standing on the opposite shore But by the time the first bombs fell We were already bored Arcade Fire: The Suburbs Das zufällig gelesene Fragment stellt die Situation auf den  Kopf. Linearität, so war unlängst zu hören, wäre ja ohne-hin heillos überschätzt. Freundlicher als die Zeile ‚Du hättest wenigstens anrufen können‘ wird es nicht mehr werden. Im Wechselschritt geht es verletzend voran, der kaum sichtbare Beobachter begleitet das schändliche Geschehen wie ein me-chanischer Chronist. Aufblicken, sich umblicken, sich orien-tieren, wie sind wir, wie bin ich hier nur gelandet? Die Ge-sichter der anderen Gäste erscheinen bedrohlich vertraut, war ich verabredet, welches Geschäft galt es abzuwickeln? Oder ist die Mission gar eine andere? Jeden Moment kann man ent-tarnt werden, die nächste Katastrophe ist nur eine weitere Zufälligkeit entfernt. Versuche der Maskierung tragen noch zur weiteren Verfremdung der Gesamtsituation bei. Jede die-ser Unternehmungen ist von Beginn an zum Scheitern ver-urteilt. Unerkannt bleibt – es mutet ein wenig paradox an – über längere Zeiträume vielleicht aber doch nur derjeni-ge, der sich nicht vorsätzlich verändert. Wie Leihgaben wech-seln die Körper für kurze Zeit die Besitzer, man schenkt sich ja sonst nichts. Bald schon aber hat man sich satt, wer will denn schon jemand anderen nötig haben. Die Notwendig- Lob der Brandstifterin Vor fast zehn Jahren erschien  Lob der Brandstifterin. Die dystopische Erzählung von  THOMAS BALLHAUSEN  zeigt, dass  fortschreitender Demokratieverlust, individuelle als auch allgemeine Ausnahmezustände und drohende Entsolidarisierung nichts von ihrer warnenden Dringlichkeit eingebüßt haben – Ein Textausschnitt.


 ZUKUNFT | 45  keit des Verlusts wird jeden Tag neu verhandelt. Wir sind Po-litiker und Piraten, kaum haben wir das Bett verlassen. Habe ich zu lange unter Krähen gelebt, zu weit weg von all den an-deren? Aber ich habe mich, entgegen aller Vermutungen und Ängste, dort sehr wohl gefühlt, vielen Dank auch. Ich habe die Arme ausgebreitet und mich unter sie gemischt, zugelas-sen, dass sie mich kennen lernen, aufnehmen, mich akzeptie-ren. Mich irgendwo einzufügen ist mir ja noch nie besonders schwer gefallen, das habe ich wie alle anderen Dinge auch trainiert. Für was immer ich getan habe, nachdem man mich dazu ausgebildet hat, musste ich nur die natürliche Begabung zu lügen mitbringen, alle anderen Fertigkeiten konnte ich er-lernen, ich konnte sie üben, bis selbst ich davon überzeugt war, dass all dies nur aus mir kommt, nur aus mir entspringt. Vermutungen will ich nicht bestätigen, Fragen nicht beant-worten, kein Kommentar zu den Vorkommnissen. Von den vergangen Dingen redet doch kaum noch jemand – und selbst dann nur hinter vorgehaltener Hand, es ist ein zum Getuschel gesteigertes Flüstern, wenn schon. Die Feuer in der Tiefe sind längst erloschen. Nur in den  langweiligsten Zusammenstellungen, den unbeantworteten Briefen und den vergessenen Einladungen wird noch dar-auf Bezug genommen. Alljährlich werden an der Oberfläche Menschen angezündet, zum Gedenken an den alten Schre-cken und seine Rhythmen. Unruhig wird zwischen den Or-ten gewechselt. Als ob es sich auf der Straße leichter schrei-ben und im Park leichter leben ließe. Der vorsichtige Blick zur Seite ist verräterisch. Lieber soll ein weiteres Unrecht be-gangen, als auf jeden Anflug von Ordnung verzichtet werden. Wer nicht mehr fliegen kann, kann sich auch in keiner Later-ne, sei sie auch noch so geräumig, einrichten. Die Unsicher-heit und die Gerüchte stiften leise Verwirrung, kaum fühlba-ren Aufruhr unter den zitternden Oberflächen. Im Neigen des Kopfes, im Falten der Hände versteckt sich das Entschlüs-selbare. Für Momente der Entspannung kann die Außenwelt vergessen werden. Heimisch kann hier aber trotzdem nie-mand werden. Der Status des Gasts lässt sich nicht abwaschen, vor dem Spiegel nicht wegbürsten. 2. Nachrichten wechseln zwischen den wie eigenständig  agierenden Geräten hin und her. Phrasen werden abgespult, das Vielgesagte wiederholt. Die unbeabsichtigte Berührung einiger Tasten kann Existenzen löschen, Kriege auslösen oder Liebe stiften. Ein Zauberspruch ist also mitunter doch wie  eine Telefonnummer, die man auswendig – by heart – weiß. Im hintersten Winkel des Verstecks gibt es angeblich keinen Empfang. Hier scharen sich die Verräter, die Flüchtenden und die Scheuen, die sich verführen lassen möchten. Wir treffen uns vor verschlossenen Türen. Es muss kein Wort gesprochen werden, hier gibt es keine schon vor längerer Zeit vorgefertig-ten Sätze, die pflichtgemäß zu wechseln wären. Ein Nicken, ein filmreifer Blick und das Ansetzen zu einer Bewegung. Das reicht, mehr braucht es nicht, das ist das Signal. Die Botschaft ist ebenso eindeutig wie unhöflich: WERDE ENDLICH ERWACH-SEN steht da in Versalien auf dem matt leuchtenden Display. An wen sich die Aufforderung richtet, ist unbestimmt. Wenn die Aufgabe erledigt ist, werden wir lange nicht wissen, wohin wir uns wenden sollen. Kommt eine Reise noch in Frage? Können wir die geord- nete Vorstufe zu einer weit chaotischeren Flucht noch in Be-tracht ziehen? Unsere Gepäckstücke sind so schwer von der Vergangenheit, dass wir uns im Jetzt kaum noch von der Stel-le bewegen können. Wir stehen uns im Weg, nichts weiter. Später wirst Du behaupten, ich sei in Deine Schusslinie gelau-fen. Das hätte ja niemand ahnen können. Den zu dieser Lüge passenden Gesichtsausdruck übst Du jeden Abend vor dem Badezimmerspiegel. Manchmal beobachte ich Dich heimlich dabei. Wer macht es sich hier leicht? Das ist eine der Fra-gen, die man in allen Zeitungen finden wird. Ich sollte mich nicht teilen, ich sollte mich vervielfältigen können. Die auf mich geworfenen Steine – erste, zweite, dritte und immer so weiter – liegen wie Fallobst ringsum verstreut. Zuletzt, in ei-nem Anflug von Schwäche, hätte ich mich beinahe bei Dir entschuldigt. Die Hand an das grobe Mauerwerk gepresst, fühle ich  den Puls der Stadt, die unter dem Mauerwerk verlaufenden Leitungen. Etwas schläft unter dieser langsam abbröckelnden Haut. Sie hat längst verstanden, was für einen Wert das hat, aber sie will ihre Wahrheiten nicht mit mir teilen. Sie zieht es vielmehr vor, mich in den unmöglichsten Momenten mit den immer gleichen – und irgendwie auch immer gleich berech-tigt klingenden – Vorwürfen zu konfrontieren. Die Mauer ist so kühl wie mein Gemüt. Da ist eine Stimme, die im Verputz der Dinge steckt, doch noch hat sich ihre Frequenz mir nicht erschlossen. Vielleicht wird hier ja auch von einer Wahrheit gesprochen, für die ich mich taub stellen muss. Das bedroh-lich anmutende Geräusch, das zu hören ist, wenn man eine lange getragene Maske anzieht. Ein unfreundliches Schmat-zen, Puder rieselt auf meine Schultern. Mein Gesicht ist ge-


 46 | ZUKUNFT  rötet. Für einen Moment fürchte ich, dass sich Teile meiner Haut ebenfalls abgelöst haben und die nächste, darunter lie-gende Maskierung zu sehen ist. Das Wunder der Fälschung liegt nicht so sehr im Vermeiden der Verluste begründet, son-dern im Aufbieten unvermuteter Reserven. 3. Sie zündelt gerne, sie ist eine Pyromanin. Ihre Begeiste- rung dafür, auch mich in Brand zu stecken, mich bis zum Grund ausbrennen zu lassen, wird nur von dem sonderbaren Wunsch überflügelt, das All abzufackeln. Die Häuser, an de-nen sie sich zu schaffen gemacht hat, beginnen sie bereits zu langweilen. Lieber möchte sie den Sternen beim Verlöschen und Verglühen zusehen, nur um es beobachtet zu haben, nur um dabei gewesen zu sein, in diesem Moment, als die Fins-ternis begann. Sie möchte das All in Brand stecken, nicht zu-letzt auch, um schließlich mit den Gesten einer selbstbewuss-ten Siegerin verkünden zu können, dass sie, ganz wie sie es immer angenommen hatte, Recht behalten hatte. Es sei im-mer schon alles so gewesen, wie sie es von Beginn an vermu-tet hatte. Bei all dem, diesen bitteren Verkündigungen, wirkt sie nicht wirklich bösartig, bloß etwas unbeholfen. Alle ihre Freunde lieben sie, eben weil sie immer unter Verdacht steht und man ihr aber doch nie etwas hatte nachweisen können. Jeder von ihnen wird immer wieder versuchen, sie zu küs-sen, sich von ihr verführen zu lassen. Was wollen wir in die-ser Stadt, in der immer früher Abend ist? Das stumpfe Licht fällt auf die Bilder an der Wand, die, wie selbst eine flüchti-ge Überprüfung ergeben muss, keine Originale sind. Sie wur-den, so legt es die Staubschicht auf der Oberseite der Rahmen nahe, schon vor längerer Zeit ausgetauscht. Selbst hier finden wir also nur gefälschte Bilder, Reproduktionen, die aus bil-lig hergestellten Katalogen herausgelöst wurden. Eine noch nicht fertig ausformulierte Antwort auf die Frage, welchen Eindruck ihr furchtbares Verhalten langfristig auf mich haben wird, tritt hinter die Notwendigkeit zurück, eine Antwort auf die Frage danach zu finden, ob ich all das nicht auch tatsäch-lich verdient habe. Was ist eigentlich mit Dir los? Sie verlangt mit einer gewissen Berechtigung nach einer Auskunft, die ich ihr weniger geben kann denn geben will. Man muss sich mit der Rolle des Gespenstes erst abfinden, bevor man sich mit ihr anfreunden kann. Dies ist der Ort des Austauschs, zwischen diesen langen  Regalreihen hinterlassen wir unsere Nachrichten, kleine Bot-schaften, die nicht immer gleich ans Ziel gelangen. Prüfend  wirft der Beamte einen weiteren Blick auf meinen gefälsch-ten Ausweis. Er kann sich, ganz im Gegensatz zu mir, nicht an meinen letzten Besuch erinnern, ich komme ihm nicht so be-kannt vor, wie ich es befürchtet habe. Immer wieder vergisst er auch die von mir angegebenen Namen, eigentlich ein se-gensreicher Umstand. Wir haben uns schon vor längerer Zeit auf ein Buch zur Übermittlung der verschlüsselten Botschaf-ten geeinigt. Der gelbe Umschlag, das Papier und sein Geruch anderer Jahrhundertwenden, verheißt mit spitzer Feder aus-geführte, lockende Obszönitäten. Das Blättern in dem Band lässt mich zumindest für wenige, flüchtige Momente wieder die Neugier und die Aufregung vergangener Zeiten spüren. Die Erinnerungen an vermeintliche Kinderspiele, papierne Hilfsmittel und die Erziehung zum Lügen blitzen kurz auf. Ich lernte, die Lüge zu lieben, sie zu zelebrieren. Die statt ihrer Zeilen in dem Buch vorgefundenen Fotos behalte ich aus persönlichem Interesse. Dies hat rein gar nichts mit mei-ner Profession zu tun. Beide Aufnahmen richten sich, obwohl ich es vorerst nicht wahrhaben wollte, direkt an mich. Eines zeigt eine junge Frau, die ich Jahre, nachdem diese Aufnah-me gemacht worden war, kennenlernte, eine junge Frau, de-ren heimlicher Geliebter ich eine zu kurze Zeit lang war. Die andere Aufnahme zeigt dem Betrachter den Blick aus dem Schlafzimmer der Frau auf das gegenüberliegende Gebäude. Erst dieser zweite Beleg entschlüsselte mir den ersten, mach-te mir klar, woher ich dieses junge, noch ganz mädchenhafte Gesicht kannte. Ich kenne diese Aussicht, ich kann mich erin-nern, wo dieses Haus stand. Ich kenne diese Lippen, nein, ich kannte sie zumindest ein wenig. Beide Aufnahmen sind, so wie es für diese Art von belichteten Sofortunikaten früher üb-lich war, blau getönt. Ich kann nur Vermutungen darüber an-stellen, wer die Fotografien aufgenommen hat. Ich kann Leu-te verdächtigen, die ich aus Schilderungen kenne. Ob es noch weitere dieser Belege gibt, ob es überhaupt Botschaften sind, die sich vorsätzlich an jemanden richten? Vielleicht täuscht mich mein Wunsch nach Interpretation über die Tatsachen hinweg, wieder einmal. Der Zufall ist mir diesmal wertvoller als ein möglicher Sinn, der sich durch die Entschlüsselung er-geben könnte. Da ist immer noch eine Schwäche für die Ab-gebildete spürbar, eine Schwäche, die ich mir nicht eingeste-hen wollte. 4. In einer anderen Wirklichkeit bin ich wahrscheinlich eine  viel verträglichere, umgänglichere Person. Hier aber müssen wir Geheimnisse erfinden, um etwas zu haben, das nur uns  LOB DER BRANDSTIFTERIN  VON THOMAS BALLHAUSEN


 ZUKUNFT | 47  gehört und verbindet. Generationen gelangweilter Zuschau-er würden sich sonst zu schnell abwenden, nur unter ihren neugierigen Blicken scheinen wir wirklich und tatsächlich zu existieren. Es wird einem offensichtlich immer noch zu leicht gemacht, sich nicht für die Welt zu interessieren. Was wir übereinander wissen, verbindet uns. Die Brücke, zu der mich die Spur führt, erweist sich als ungesicherter Übergang zwischen den Zonen. Die Leute tragen Schutzmasken. Ist das ein Trend oder eine Vorsichtsmaßnahme, ich vermag es nicht zu sagen. Ich krame kurz in meiner Tasche und hole die auf-grund ihres Alters fast schon antik wirkende Gasmaske hervor, die ich seit den letzten Attacken immer mit mir herumtrage. Sie sitzt schlecht, ich muss kurz stehen bleiben und die Bän-der, die sie auf meinem Kopf fixieren, nachziehen. Ungenü-gend geschützt, aber unkenntlicher als zuvor, setze ich meinen Weg fort, als wüsste ich, wohin ich unterwegs bin. Hier kann ich nicht bleiben. Hier nicht, hier auch nicht. Ich möchte ler-nen, die Katastrophe wie einen alten Freund zu umarmen, so heftig und ehrlich, wie nur wenige vor mir. Ich könnte mich mit ihr anfreunden lernen, da bin ich mir ganz sicher. Diesmal wird alles anders sein. Wir sind am Zug. Später wechsle ich meine Kleidung und schlüpfe in die  Krähenhaut, die immer noch im markierten Kasten zu fin-den war. Wie eine alte Lederjacke, die nach langen Jahren ihre unveränderbare Form bekommen hat, ist auch hier jede Fal-te an ihrem Platz. Am Türknauf hängt eine Maske wie der Kopf einer Enthaupteten. Es ist eine traurig obszöne Hinter-lassenschaft, die mich für einen Moment erstarren lässt. Hier ist erneut jemand zu Boden gegangen, doch an der Schwer-kraft kann es nicht gelegen haben. Mein Weg führt mich wei-ter, er führt mich weiter weg. Es ist immer die Frage, wie man sich in der jeweiligen Wirklichkeit einrichtet. Das hier ist eine völlig andersartig ausgemalte und tapezierte Welt, ein mit Stoff ausgeschlagener Ort, dessen Zugang versteckt ist. Na-türlich kann man die Gardinen zuziehen, das Mobiliar ver-schieben, wirklich heimisch wird man an diesem Fluchtpunkt aber trotzdem niemals werden. Es gilt, vorerst kein Risiko einzugehen. Bei der Wahl des nächsten Aufenthaltsortes be-rücksichtige ich das umso mehr. Hier, in den beschaulicheren Gegenden ihrer Kindheit, einem im Wald verborgen liegen-den Haus, wird sie mich nicht gleich vermuten. Das Blau des Himmels verdichtet sich über mir zu einer farblich nachjus-tierten, eintönigen Künstlichkeit, die sich bis zum Horizont erstreckt. Wenn ein Gebäude wirklich dauern, also überleben will, braucht es, so erzählte es mir einmal ein grausamer Eng-länder, eine gute und saubere Erzählung. Die Tür knarrt, sie  hat sich unter den ständigen Temperaturschwankungen ver-zogen. Was ging verloren, hier in diesem Zwischenreich? Zu-mindest waren wir uns noch bewusst gewesen, etwas verloren zu haben. Wir konnten uns nur nicht mehr erinnern, was es gewesen war oder wie es sich angefühlt hatte. Was sich in die-sem Haus, ihrem Haus, befindet, ist ein Durcheinander, eine Sammlung. Es ist ein auf den ersten Blick ungeordnet wir-kendes Privatmuseum: Geraubte Schätze liegen neben gebün-delten Zeitungen. Ein Steckbrief, der sie zeigt, ist wie ein wertvolles Porträt gerahmt worden und hängt einsam an ei-ner der Zimmerwände. Unter dem nur vermeintlichen Cha-os ist eine geheime Ordnung verborgen, die sich nicht gleich erschließt. Ich lasse den Blick schweifen, wie auf der Suche nach einem Objekt, das sie vielleicht zu bannen vermag, ei-nem Gegenstand mit Vergangenheit. Geheime Zimmer und Räume wie diese scheinen, so macht es den Eindruck, nur zu existieren, um beschrieben zu werden. Doch je länger ich wieder hier stehe, desto eher halte ich diese Annahme für ei-nen Irrtum. Die Ablageformen haben die Quellen, das Über-mittelte und Erhaltene immer schon wesentlich mitbestimmt. Die Geschichten, so hat es sich im Verlauf der unterschied-lichsten Stränge gezeigt, werden überwunden und schon kann der Untergang erneut beginnen. Wir lesen doch überall auch von den Fehlern, die wir gemacht und doch nicht als solche erkannt haben. Ich möchte etwas direkt aus der Zeit heraus-brechen und wieder strahlen lassen. 5. Wie ich mir wünsche, dass zumindest diese Stadt meine  Verbündete wäre. Ich könnte mich hier wirklich wohl fühlen, mich hier einrichten und damit beginnen, Bilder aus unbe-schwerten und friedlicheren Zeiten erneut in eine Gegenwart verwandeln. Einige Straßen weiter war früher einmal ein klei-ner Laden, eine so genannte Tauschzentrale. Hierher brach-ten die Bewohner des Bezirks ihre Kleidungsstücke, Spiel-zeuge und Bücher, um sie, nach Entrichtung einer kleinen Gebühr, gegen für sie neue Gegenstände und Textilien ein-zutauschen. Ich stehe, von der Warte eines Passanten aus be-trachtet, wohl ungewöhnlich lange vor dem heruntergelasse-nen Gittertor, den wenig einladenden Auslagen. Ich gehe um das Gebäude herum und durch den Innenhof eines schäbi-gen Wohnhauses, der für die kommenden Festivitäten nach-lässig geschmückt wurde. Hinter Papiergirlanden finde ich die Hintertür zum Geschäftslokal wieder. Der Ersatzschlüssel ist immer noch unter einem der lockeren Pflastersteine neben der Tür zu finden. Hier habe ich immer bekommen, wonach 


 48 | ZUKUNFT  ich gesucht hatte. Staub hat sich auf den ausgestellten Waren niedergelassen. Es macht den Eindruck, als hätten die Besit-zer nur kurz weggehen wollen und sich dann, aus welchen Gründen auch immer, entschlossen, nicht zurückzukehren. Das Licht fällt trübe durch die stark verschmutzten Scheiben herein, während ich den papiernen raschelnden Vorhang zu den hinteren Räumlichkeiten durchquere. Ich passiere einen engen Gang voller Kostüme und pornografischer Angebote und gehe zu einem Zimmer am Ende der Räumlichkeiten vor. Da hängt an einem Haken, ganz vereinsamt, immer noch mein alter Anzug, bühnentauglich und feuerfest. Ich ziehe die ihn umschließende Kunststoffhülle herunter und streife meine Kleidung ab. Der Stoff des Anzugs knistert ein wenig, als ich ihn anlege. Er passt immer noch, ich habe nicht so viel zuge-nommen wie befürchtet. In den Jackentaschen finden sich die dort hinterlassenen Utensilien, kleine Hilfsmittel für Zaube-reieinlagen. Dieses Outfit erscheint mir perfekt für die zu ab-solvierende Dompteurseinlage. Wie bändigt man die Realität, wenn nicht mit Geduld, Nachsicht und einer größeren An-zahl von Kunststücken. Haben sich denn tatsächlich alle entschlossen, seriös zu  werden, wetterfeste Schuhe zu tragen und sich mit den Um-ständen zu arrangieren? Ein Blick in die Zeitung, die ich in einem Café unweit der Bibliothek lese, bestätigt es mir. Mein Vertrag mit dieser Wirklichkeit wird wohl nicht verlängert werden; nicht, dass ich besonderen Wert darauf lege. Drau-ßen sind die ersten Feiernden zu beobachten, weitere wer-den ihnen schon bald folgen. Ab und zu ein toter Anführer, ein ermordeter Visionär, wen kümmert das schon tatsächlich. Die Aufregung über diese stets ungelösten Taten ist nur von kurzer Dauer, sie wird vom Erstaunen und den Diskussionen über neue Nichtigkeiten abgelöst. Doch das noch schlimme-re Verbrechen, an dem unsere Zeit und unsere Vernunft letzt-endlich zerbrochen sind, bleibt ungenannt. Nur von der er-neuten Anordnung umfassender Ermittlung ist die Rede, von der Entsendung eines noch zu bestellenden Spezialisten in die Krisenregionen. Man wolle sich erst einen Überblick ver-schaffen. Die Schwärze der Buchstaben färbt ein wenig vom billigen Papier ab. Man wird voraussichtlich wieder zu spät kommen. Was Zeit und Erfahrung aus uns gemacht haben, welche Erkenntnisse mit den Erlebnissen einhergehen, muss von anderer Stelle ermittelt werden. Ich will dafür nicht auch noch zur Verfügung stehen müssen. Ich bin aus guten Grün-den ein Unsichtbarer geworden – ein Umstand, der sich nur schwer zur vollen Befriedigung aller erklären lässt. Ich habe zu lange nachgelebt, was mir vorgegeben worden war. Weni- ger noch als damals wird sie mich berühren können. Ich war funktional und sie war verliebt, eine ungünstigere Verbindung ist kaum denkbar. Die Gegend scheint infiziert, verseucht zu sein. Es ist schlicht die Fehlstellung der Welt, so möchte man mit einem entschuldigenden Achselzucken bemerken. Un-deutlich spiegle ich mich im Metall der Wandverschalung, mein verzogenes Ich und mein nicht weniger verschwomme-nes Gesicht sind Teil der Ausschweifungen, die nun in vollem Gange sind. Nachts wirkt all dies ein wenig natürlicher und angebrachter, man ist leichter bereit, nachsichtig zu sein, zu verzeihen. Die Buchstaben, die auf der Schiefertafel vor dem Lokal angebracht sind, beginnen unter meinem Blick zu tan-zen und geben nach kurzer Zeit eine verborgene Botschaft frei. Auf der Rückseite der Tafel entdecke ich eine Postkar-te, motivisch grinst sie mir darauf entgegen. Es ist eine Ein-ladung, unmissverständlich und voller gefährlicher Reize. Ich freue mich doch immer, wenn sie mir schreibt.   THOMAS BALLHAUSEN LOB DER BRANDSTIFTERIN.  ERZÄHLUNG Mit einem Nachwort von Jack Hauser Wien: Edition Atelier  60 Seiten | € 5,- ISBN 978-3-902498-79-3 Erscheinungstermin: September 2013 THOMAS BALLHAUSEN  lebt als Autor, Kulturwissenschaftler und Archivar in Wien und Salz- burg. Er ist international als Herausgeber, Vortragender und Kurator tätig.  Demnächst erscheint sein neues Buch  Transient. Lyric Essay (Edition   Melos, Wien). Der Abdruck des vorliegenden Textes, der aus der   Erzählung  Lob der Brandstifterin stammt, erfolgt mit freundlicher   Genehmigung der Edition Atelier (Wien). LOB DER BRANDSTIFTERIN  VON THOMAS BALLHAUSEN


 ZUKUNFT | 49  PATRICK AUSSERDORFER WU WIEN (2013)  Surroundings © Patrick Ausserdorfer


 50 | ZUKUNFT  CITY, TECHNOLOGY AND LIGHT …  VON PATRICK AUSSERDORFER Mein Name ist Patrick Ausserdorfer und ich wurde am 03.  Jänner 1979 in Innsbruck geboren, wo sich – neben Wien – mein Lebensmittelpunkt befindet. Seit über 20 Jahren begeis-tere ich mich für analoge und digitale Fotografie und seit Ende der 1990er-Jahre für alle Möglichkeiten der digitalen Bildge-staltung und -manipulation, wie die in dieser Doppelausgabe der ZUKUNFT präsentierten Fotografien zeigen können. Dabei konnte ich sowohl auf dem Mac als auch auf dem  PC in den unterschiedlichsten bildrelevanten Disziplinen Er-fahrungen sammeln und erreiche so mit den jeweiligen Refe-renzprogrammen, wie der Adobe Creative Suite, den gängigen Plugins für Photoshop, Cinema 4D oder 3d Studio Max, die hier präsentierten Ergebnisse. Diese Medienkompetenz, die Soft-ware und die Kamera stellen unabdingbare Produktionsbedin-gungen meiner Arbeit dar. Dem Wunsch folgend, mein fotografisches Wissen und  Können zu vertiefen, habe ich zwischen 2009 und 2012 die Prager Fotoschule in Kefernmarkt in der Nähe von Linz be-sucht. So konnte ich bereits im Jahr 2012 im Rahmen der „eyes-on – Monat der Fotografie in Wien“ und in der Folge bei der Ausstellung „partecipate“ in Innsbruck ausstellen. Im Rahmen der ZUKUNFT habe ich hier eine Serie zusammenge-stellt, die den Versuch unternimmt, einen Außenblick auf die Stadt Wien zu werfen, der sich in der Kameraführung, der Perspektivierung von Architektur und Technologie sowie der Nutzung des Lichteinfalls konkretisiert.  Insgesamt stellen die im Rahmen dieser Doppelaus- gabe der ZUKUNFT präsentierten Arbeiten einen repräsentati-ven Querschnitt meiner bisherigen Arbeit dar und verweisen auf den ästhetischen Zusammenhang von Urbanistik, Tech-nologie und Licht bzw. Beleuchtung. Die hier versammel-ten Blick- und d. h. Kamerarichtungen auf architektonische  Dynamiken von Wien führen so die Gesamtheit meiner    fotografischen Erfahrungen zwischen city, technology and light vor Augen … City, Technology and  Light …  Patrick Ausserdorfer © Patrick Ausserdorfer AUCH IM V A VERLA G ERSCHIENEN


 ZUKUNFT | 51  HEFTBESTELLUNG Kupon ausschneiden& einsenden an: VA Verlag GmbHKaiser-Ebersdorferstrasse 305/31110 Wien ICH BESTELLE "ROTE PHILATELIE"7,90 € INKL. MWST ZZGL. VERPACKUNG UND VERSAND 2,00 € NAME: _________________________________________________________________ STRASSE: _______________________________________________________________ ORT/PLZ: _______________________________________________________________ TEL.: ______________________________ E-MAIL: _____________________________UNTERSCHRIFT: _______________________ ODER BESTELLUNG PER E-MAIL AN DEN VERLAG: OFFICE@VAVERLAG.AT SOLANGE DER VORRAT REICHT AUCH IM V A VERLA G ERSCHIENEN


HEFTBESTELLUNG Kupon ausschneiden& einsenden an: VA Verlag GmbHKaiser-Ebersdorferstrasse 305/31110 Wien ICH BESTELLE "WIENER STRASSENBAHNER IM FEBRUAR 1934"PREIS 5,-- INKL MWST ZZGL. VERPACKUNG UND VERSAND 2,00 € NAME: _________________________________________________________________ STRASSE: _______________________________________________________________ ORT/PLZ: _______________________________________________________________ TEL.: ______________________________ E-MAIL: _____________________________UNTERSCHRIFT: _______________________ ODER BESTELLUNG PER E-MAIL AN DEN VERLAG: OFFICE@VAVERLAG.AT SOLANGE DER VORRAT REICHT AUCH IM V A VERLA G ERSCHIENEN DIE WIENER STRASSENBAHNER GALTEN IN DER ZWISCHENKRIEGSZEIT ALS EINE DER SPEERSPITZEN DER SOZIALDEMOKRATIE. ES VERWUNDERT DAHER NICHT, DASS SICH AUF PRAKTISCH ALLEN BAHNHÖFEN SCHUTZBUNDGRUPPEN, SOGENANNTE STRASSENBAHNORDNER, BEFANDEN. INSBESONDERE IN FLORIDSDORF WAREN DIE STRASSENBAHNER DIREKT IN KAMPFHANDLUNGEN DES FEBRUAR 1934 VERSTRICKT. HIER WURDEN AUCH ZWEI STRASSENBAHNER VON EINEM EILIG EINBERUFENEN STANDGERICHT ZUM TODE VERURTEILT, IN LETZTER MINUTE ABER BEGNADIGT. IN DIESER BROSCHÜRE WERDEN AUS DEM BLICKWINKEL DIESER BERUFSGRUPPE DIE HEFTIGEN AUSEINANDERSETZUNGEN UM DIE WIEDERHERSTELLUNG DER VON DER REGIERUNG DOLLFUSS DEMONTIERTEN DEMOKRATIE BESCHRIEBEN.