46 | ZUKUNFT
rötet. Für einen Moment fürchte ich, dass sich Teile meiner Haut ebenfalls abgelöst haben und die nächste, darunter lie-gende Maskierung zu sehen ist. Das Wunder der Fälschung liegt nicht so sehr im Vermeiden der Verluste begründet, son-dern im Aufbieten unvermuteter Reserven.
3.
Sie zündelt gerne, sie ist eine Pyromanin. Ihre Begeiste-
rung dafür, auch mich in Brand zu stecken, mich bis zum Grund ausbrennen zu lassen, wird nur von dem sonderbaren Wunsch überflügelt, das All abzufackeln. Die Häuser, an de-nen sie sich zu schaffen gemacht hat, beginnen sie bereits zu langweilen. Lieber möchte sie den Sternen beim Verlöschen und Verglühen zusehen, nur um es beobachtet zu haben, nur um dabei gewesen zu sein, in diesem Moment, als die Fins-ternis begann. Sie möchte das All in Brand stecken, nicht zu-letzt auch, um schließlich mit den Gesten einer selbstbewuss-ten Siegerin verkünden zu können, dass sie, ganz wie sie es immer angenommen hatte, Recht behalten hatte. Es sei im-mer schon alles so gewesen, wie sie es von Beginn an vermu-tet hatte. Bei all dem, diesen bitteren Verkündigungen, wirkt sie nicht wirklich bösartig, bloß etwas unbeholfen. Alle ihre Freunde lieben sie, eben weil sie immer unter Verdacht steht und man ihr aber doch nie etwas hatte nachweisen können. Jeder von ihnen wird immer wieder versuchen, sie zu küs-sen, sich von ihr verführen zu lassen. Was wollen wir in die-ser Stadt, in der immer früher Abend ist? Das stumpfe Licht fällt auf die Bilder an der Wand, die, wie selbst eine flüchti-ge Überprüfung ergeben muss, keine Originale sind. Sie wur-den, so legt es die Staubschicht auf der Oberseite der Rahmen nahe, schon vor längerer Zeit ausgetauscht. Selbst hier finden wir also nur gefälschte Bilder, Reproduktionen, die aus bil-lig hergestellten Katalogen herausgelöst wurden. Eine noch nicht fertig ausformulierte Antwort auf die Frage, welchen Eindruck ihr furchtbares Verhalten langfristig auf mich haben wird, tritt hinter die Notwendigkeit zurück, eine Antwort auf die Frage danach zu finden, ob ich all das nicht auch tatsäch-lich verdient habe. Was ist eigentlich mit Dir los? Sie verlangt mit einer gewissen Berechtigung nach einer Auskunft, die ich ihr weniger geben kann denn geben will. Man muss sich mit der Rolle des Gespenstes erst abfinden, bevor man sich mit ihr anfreunden kann.
Dies ist der Ort des Austauschs, zwischen diesen langen
Regalreihen hinterlassen wir unsere Nachrichten, kleine Bot-schaften, die nicht immer gleich ans Ziel gelangen. Prüfend
wirft der Beamte einen weiteren Blick auf meinen gefälsch-ten Ausweis. Er kann sich, ganz im Gegensatz zu mir, nicht an meinen letzten Besuch erinnern, ich komme ihm nicht so be-kannt vor, wie ich es befürchtet habe. Immer wieder vergisst er auch die von mir angegebenen Namen, eigentlich ein se-gensreicher Umstand. Wir haben uns schon vor längerer Zeit auf ein Buch zur Übermittlung der verschlüsselten Botschaf-ten geeinigt. Der gelbe Umschlag, das Papier und sein Geruch anderer Jahrhundertwenden, verheißt mit spitzer Feder aus-geführte, lockende Obszönitäten. Das Blättern in dem Band lässt mich zumindest für wenige, flüchtige Momente wieder die Neugier und die Aufregung vergangener Zeiten spüren. Die Erinnerungen an vermeintliche Kinderspiele, papierne Hilfsmittel und die Erziehung zum Lügen blitzen kurz auf. Ich lernte, die Lüge zu lieben, sie zu zelebrieren. Die statt ihrer Zeilen in dem Buch vorgefundenen Fotos behalte ich aus persönlichem Interesse. Dies hat rein gar nichts mit mei-ner Profession zu tun. Beide Aufnahmen richten sich, obwohl ich es vorerst nicht wahrhaben wollte, direkt an mich. Eines zeigt eine junge Frau, die ich Jahre, nachdem diese Aufnah-me gemacht worden war, kennenlernte, eine junge Frau, de-ren heimlicher Geliebter ich eine zu kurze Zeit lang war. Die andere Aufnahme zeigt dem Betrachter den Blick aus dem Schlafzimmer der Frau auf das gegenüberliegende Gebäude. Erst dieser zweite Beleg entschlüsselte mir den ersten, mach-te mir klar, woher ich dieses junge, noch ganz mädchenhafte Gesicht kannte. Ich kenne diese Aussicht, ich kann mich erin-nern, wo dieses Haus stand. Ich kenne diese Lippen, nein, ich kannte sie zumindest ein wenig. Beide Aufnahmen sind, so wie es für diese Art von belichteten Sofortunikaten früher üb-lich war, blau getönt. Ich kann nur Vermutungen darüber an-stellen, wer die Fotografien aufgenommen hat. Ich kann Leu-te verdächtigen, die ich aus Schilderungen kenne. Ob es noch weitere dieser Belege gibt, ob es überhaupt Botschaften sind, die sich vorsätzlich an jemanden richten? Vielleicht täuscht mich mein Wunsch nach Interpretation über die Tatsachen hinweg, wieder einmal. Der Zufall ist mir diesmal wertvoller als ein möglicher Sinn, der sich durch die Entschlüsselung er-geben könnte. Da ist immer noch eine Schwäche für die Ab-gebildete spürbar, eine Schwäche, die ich mir nicht eingeste-hen wollte.
4.
In einer anderen Wirklichkeit bin ich wahrscheinlich eine
viel verträglichere, umgänglichere Person. Hier aber müssen wir Geheimnisse erfinden, um etwas zu haben, das nur uns
LOB DER BRANDSTIFTERIN
VON THOMAS BALLHAUSEN